: In Fußballland
■ Christoph Biermann
Die Veranstaltung hatte schon begonnen, aber Ewald Lienen war trotzdem nicht zu spät. Erst im Laufe des Abends sollte der ehemalige Aktivist der Friedensliste in seiner Rolle als Cheftrainer des 1. FC Köln auf die Bühne einer Talkshow gebeten werden, die regelmäßig Akteure des Sports in Köln vorstellt. Lienen sollte dort Auskunft geben über den Zweitligisten, an dem so viele Erwartungen hängen. Zu viele sind es eigentlich, und meistens schießen sie auf wie das gotische Gebirge Kölner Dom. Der ist Wahrzeichen der Stadt so wie Selbstüberschätzung ihre vornehmste Eigenschaft, die nichts besser illustriert als jener 1. Fußball Club, der auch dann nicht akzeptieren kann, dass Real Madrid nicht mehr zu Seinesgleichen zählt, wenn ihm gerade die Stuttgarter Kickers das Fell über die Ohren gezogen haben.
Ewald Lienen zeigt ein Sozialverhalten, das in der Welt des Fußballs rar ist
Ewald Lienen hat im Sommer die Aufgabe übernommen, einen Klub, der in der näheren Vergangenheit sein Geld weitgehend für schlechte Spieler verjuxt hatte, mit preisgünstigen Kickern wieder in jenen Bereich der Tabelle zu führen, der Hoffnung offen lässt für eine Rückkehr in die erste Liga. Zugleich will er den typisch Kölschen Irrsinn bremsen, aus einem knappen Sieg gegen Oberhausen die Qualifikation zur Champions League hochzurechnen.
Solchermaßen doppelbelastet betrat der Trainer den sogenannten „Future Point“ in Kölns Innenstadt, ein Zukunftsträchtigkeit suggerierendes Internet-Café, und wurde schon an der Tür vom Mitglied eines Fanclubs abgefangen, der ihn zu einer Veranstaltung einladen wollte. Einige Schritte weiter lauerte der nächste Demissionär, der den Terminvorschlag des Fanclubs nun auch in schriftlicher Form überreichte und darauf hinwies, ihn schon bei einem Freundschaftsspiel in der Saisonvorbereitung angesprochen zu haben. Damals wäre ihm doch auch das T-Shirt geschenkt worden. Was für ein T-Shirt, fragte Lienen. Das mit der Aufschrift „Wiederaufstieg“, sagte der Mann vom Fanclub, und Trainer Lienen rollte nur aus Höflichkeit nicht mit den Augen.
Selbstverständlich möchte auch er mit dem 1. FC Köln schnurstracks zurück in die Bundesliga, aber selbst der Inquisition würde Lienen nicht sagen, dass der Aufstieg irgendwie geplant oder vorgenommen sei. Das kriegt man nur um die Ohren gehauen, wenn es nicht klappt, meint er nämlich. Und, so echauffierte sich Lienen, warum es denn überhaupt Wiederaufstieg heißen würde, der 1. FC Köln sei doch bis zum Abstieg vor eineinhalb Jahren immer erstklassig gewesen, könne also nur auf-, aber nicht wiederaufsteigen. Da irrte er, mochte sich aber nur leise knurrend die Geschichte vom Aufstiegsspiel zur Oberliga West aus dem Jahre 1949 anhören, das der Fusionsklub aus Sülz 07 und dem BC 01 gegen Bayer Leverkusen mit 3:1 gewonnen hatte.
Nun mag der Eindruck entstanden sein, dass es sich beim ehemalig ziegenbärtigen Autogrammverweigerer inzwischen um ein verkrampft-verklemmtes Opfer des Fußballwahns handelt. Dabei zeigt Ewald Lienen ein weitgehend intaktes Sozialverhalten, das in der Welt des Fußballs ziemlich rar ist. Er hört etwa zu, wenn man mit ihm spricht, was für Trainer im Profifußball ausgesprochen ungewöhnlich ist. Außerdem hat er Humor und begann also leise kichernd zu erzählen, dass es ihn eben in der Kabine leise gefröstelt hätte und er sich ein T-Shirt untergezogen hätte. Und, während er sein Jackett zur Seite schlug und zwei Knöpfe seines schwarzen Hemdes öffnete, prustete es auch schon aus ihm heraus, dass er nun wisse, was das für ein T-Shirt gewesen sei. Und wirklich war es genau jenes, das ihm der Fanclub geschenkt hatte. So würde er in wenigen Minuten vors Publikum treten und unter seinem Hemd wäre ein T-Shirt verborgen, auf dem groß der Begriff zu lesen steht, den er fanatisch zu vermeiden suchte: „Wiederaufstieg“. Der Komik dieser Situation konnte sich Ewald Lienen nicht entziehen und kicherte vergnügt weiter.
Als jedoch darüber gescherzt wurde, dass er vielleicht in der Hitze der Scheinwerfer aus Versehen das Hemd ablegen oder es gar bewusst in einer dramatischen Geste aufreißen würde wie Superman, sagte Lienen, das entsetzliche Bild deutlich vor den Augen: „Dann wäre alles umsonst.“
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