: Das Leuchten der Intimität
■ Jan Lauwers und die Needcompany im Hebbel-Theater
Mit süßem Understatement hat Jan Lauwers seinen jüngsten Theaterabend als „Burleske“ bezeichnet. „Morning Song“, der zweite Teil des zur documenta X begonnenen Projektes „No beauty for me there, where human life is rare“, ist trotzdem wieder ein Gedicht geworden: Ein komisches, leicht beschwipstes, verwirrend herzzerreißendes Party-Poem.
Der belgische Theaterkünstler und seine Ende der 80er gegründete Needcompany gelten als wichtige Impulsgeber des postdramatischen Theaters, werden des Öfteren mit Pop in Zusammenhang gebracht und spielen deshalb im Rahmen der Berliner Festspiele unter der Repräsentativ-Sektion „XX. Jahrhundert“ im Hebbel-Theater. „Morning Song“ erzählt jetzt Geschichten, deren Zusammenhang erst dann aufflackert, wenn am Ende buchstabenförmige Lichter ein buntes INFINITO blinken. Ein nostalgisch gefärbter Abend unter Freunden und Verwandten: Zwischen Herd, Küchentisch und einer Reihe Stühle an der Bühnenrampe stellen die Gäste munter klar: Liebes Publikum, diese Party findet gar nicht statt. Wir sind nämlich alle schon tot, verrückt oder ausgewandert.
Der Abend leuchtet vor Intimität, vor allem wegen der vertanzten Bewegungen und innigen Berührungen der Schauspieler, ihrer verletzlichen Blicke und ihres geheimnisvollen Lächelns (Choreografie: Carlotta Sagna/Jan Lauwers). Gleichzeitig entzieht diese Intimität dem Zuschauer keinen Moment lang das Bewusstsein, einer distanziert durchdachten, vollendet künstlichen Komposition beizuwohnen. En passant berichtet der südamerikanische Berufsrevolutionär Harry (mit Glittersmoking und potentem Schnurrbart: Gonzalo Cunill) von seiner Hochzeit mit Lena Grandiflora (Tijen Lawton). Seine Braut habe damals plötzlich keine Luft mehr bekommen und sei ins Koma gefallen – und schon sind wir mitten auf der Hochzeitsfeier. Lena zuckt und zittert einen Todeskampf auf Harrys Schoß zusammen, der schwule Bruder Leopold (Ritsaert Ten Cate) trinkt ein braunes Gesöff, um es – von Lachkrämpfen geschüttelt – gleich wieder auszukotzen. Die Anekdote wird von allen kommentiert, nachgespielt und findet einfach statt, ist vergangen und präsent, bedrückend ernst und befreiend komisch zugleich.
Dieses Verrücken und Fusionieren verschiedener Zeitebenen und Emotionen praktiziert die Needcompany mit beiläufiger Selbstverständlichkeit. „I died in 1973“, plaudert Harry entspannt am Anfang und stellt damit die Frage: Was ist er denn jetzt – was ist jetzt? Es gibt in „Morning Song“ auch Popmusik. But this is not a popsong. Eva Behrendt
Bis 19. 9., jeweils 20 Uhr, im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29
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