: Heavy Rotation auf MTV
Das Budapester Vargas Studio bewegt sich mit seinen Trickfilmen irgendwo zwischen Miró und „Yellow Submarine“ und spricht die gute alte Blumensprache. Die Akademie der Künste zeigt eine Auswahl der Cartoons – und andere Filme aus Ungarn ■ Von Philipp Bühler
Die ungarische Filmindustrie befindet sich seit der politischen Wende in einem Umbruch. Die einstmals hundertprozentige Subvention wurde auf ein Minimum zurückgefahren, das liebevoll umhegte Soziotop Film dem Markt ausgesetzt. Was das für die Filmkultur Ungarns bedeutet, kann man sich in den nächsten Wochen an der Akademie der Künste angucken. In einer Filmreihe zur Veranstaltungsreihe „Budapest – Berlin 1999“ werden neben alten und neuen Werken von István Szabó und Béla Tarr die Arbeiten einiger junger Filmemacher gezeigt.
Doch zunächst einmal muss man eine ungarisch-europäische Erfolgsstory erzählen. Während es die meisten in der Akademie gezeigten Filme es sonst kaum ins Ausland schaffen, genügt auch hier zu Lande ein Druck auf die Fernbedienung, um sich ganz heißen Kommerzscheiß made in Ungarn via MTV auf den Bildschirm zu laden. Das Varga Studio, ein perfekt ausgestattetes Animationsfilm-Studio in Budapest, das 1989 ohne staatliche Hilfe „aus dem Nichts“ gegründet wurde, produziert nicht nur 80 Prozent der heimischen Werbesendungen, es beliefert auch den amerikanischen und britischen Markt mit Videoclips, Animationsserien und Zeichentrickfilmen in Spielfilmlänge. Varga kooperiert mit Disney, Warner und Twentieth Century Fox und hat zum Beispiel auch das Simpsons-Video „Do the Bartman“ gemacht, das wochenlang an der Spitze der MTV-Video-Charts stand. Auch an „Pinky und der Brain“ waren die Ungarn beteiligt, einer Trickfilmserie, die bei uns leider unbeachtet auf Pro 7 läuft.
Neben diesen profitträchtigen Engagements werden in Budapest weiterhin experimentelle Animationsfilme produziert, von denen der Gründer des Unternehmens, Csaba Varga, heute Abend eine kleine Auswahl persönlich vorführt. Laut Varga sind diese selbst finanzierten und nicht immer voll ausgeführten Kurzfilme für die 150 Mitarbeiter die notwendige Spielwiese, um eigene kleine Träume, neue Stile oder Ideen zu verwirklichen.
Man versteht anhand dieser nicht besonders innovativen Kurzfilme nicht unbedingt, warum der Animationsfilm als Aushängeschild der ungarischen Filmkunst angepriesen wird. Aber für eine Zuschauergeneration, die mit osteuropäischen Trickfilmen erzogen wurde, schlagen die Mitte der Neunziger entstandenen Filme einen interessanten Bogen von der immer noch wegweisenden Ästhetik der MTV-Jingles zu den Ursprüngen des ungarischen Animationswunders: In einem ständigen Flirren und Summen werden die kunterbunten, verspielten Formen der Siebzigerjahre durch die harten Schnitte der MTV-Maschine gejagt, musikalisch überlagert von Mixtur aus Neuer Musik und Drum 'n' Bass. Manchmal sieht das dann aus, als hätte sich der kleine Maulwurf – der war allerdings tschechisch – mitsamt seinen Blümchen in einem Busta Rhymes-Video verirrt. Allerlei Getier, kleine Monster, die ganze Flora und Fauna kriecht da über den Bildschirm, es ist ein ewiges Wabern und Kopulieren. Einziges Ziel: immer neue Metamorphosen – und noch mehr Monster.
Die marktgestählten Animateure scheinen sich insgeheim in die blumig-bunte Welt der Hippie-Ära zurückzusehnen. Miró und „Yellow Submarine“ bilden hier den ästhetischen Referenzrahmen. Folgerichtig hat sich Varga 1998 in einem Joint Venture mit dem altehrwürdigen britischen Studio TV Cartoons zusammengetan, das den Beatles-Heuler seinerzeit produziert hat.
Genau genommen haben die Budapester die Londoner damit vor dem Aus bewahrt, was der Konkurrenz von Aardman und Co, die schon auf die Marktlücke schielten, nicht so gut passte. Zusammen mit TV Cartoons will sich Varga nun wieder auf etwas traditionellere Animationen besinnen, geplant sind vor allem Kinderbuchadaptionen wie die bereits fertig gestellte Fortsetzung zum britischen Klassiker „Der Wind in den Weiden“. Back to the roots – Konsolidierung durch Kommerz.
Eine weitere Erfolgsgeschichte, diesmal im Bereich Spielfilm, präsentiert die Akademie am nächsten Donnerstag mit dem ungarischen Kassenschlager „Piraten“. Die poppige Teenie-Komödie um zwei draufgängerische Jungs, die mit ihrem Piratensender Freiheit und Anarchie zelebrieren, beweist allerdings nicht nur, dass der ungarische Massengeschmack mit dem deutschen in puncto Humor locker mithalten kann – Export überflüssig. Er belegt auch István Szabós bittere These, dass es mit der „Blumensprache“, die einst den Charme des ungarischen Films ausmachte, in Zeiten des real existierenden Kapitalismus eigentlich vorbei ist: Kritik muss sich nicht mehr hinter Skurrilem und Surrealem verstecken.
Filme des Varga Studios Budapest, heute, 18 Uhr. „Piraten“ („Kalózok“), nächste Woche Donnerstag, 21.30 Uhr. Jeweils in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 19
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