Floyd geht an Land

Der Hurrikan vor der amerikanischen Ostküste ist in Carolina angekommen. 2,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Wind und Wasser  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Der Monsterhurrikan Floyd hat sich entschieden. Nach langsamer Reise die nordamerikanische Küste aufwärts ist er gestern Morgen in Cape Fear in North Carolina an Land gegangen. Die Bewohner Floridas und Georgias können aufatmen. Dafür wurde von Carolina bis an die kanadische Grenze in ausgewählten Counties der Ausnahmezustand erklärt. Bisher gab es zwei Tote, Myrtle Beach in North Carolina ist zertrümmert und eine halbe Million Menschen haben keinen Strom mehr.

Stürme dieser Größenordnung vermutete man bisher eher auf dem Jupiter, wo sich seit Jahrhunderten ein Wirbel von der Größe unseres Erdballs dreht. Für irdische Maßstäbe aber ist Floyd schon erschreckend groß. Das an Amerikas Atlantikküste nordwärts ziehende tropische Sturmsystem hat eine Flächenausdehnung von der Größe des Bundesstaats Texas – und ist damit vier mal so groß wie Deutschland. Im Zentrum herrschten bis Mittwoch Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h, die sich beim Aufprall an Land in der Nacht zum Donnerstag etwas verlangsamten. Floyd schiebt Flutberge von 7 Metern Höhe vor sich her, die pro Kubikmeter Wasser mit der Wucht eines Güterzugs an die Küste branden. Floyd droht zum Sturm des Jahrhunderts zu werden, machtvoller als Hugo, der 1989 in Charleston 29 Menschen tötete und Schäden in Höhe von 5,9 Mrd. Dollar anrichtete, und schrecklicher als Andrew, der 1992 in Florida 26 Menschen tötete und für 25 Mrd. Dollar Schäden verursachte.

Floyd hat zur bisher größten Evakuierungsaktion in der amerikanischen Geschichte geführt. Die Stadt Savannah in Georgia und Charleston sind menschenleer. Häuser und Geschäfte sind mit Brettern vernagelt. Zeitweilig mussten auf der Interstate 26 alle Spuren für den Verkehr nach Westen freigegeben werden. Wer allerdings kein eigenes Auto hatte, wartete in Savannah am Dienstag stundenlang auf versprochene Schulbusse. Hotels im Hinterland sind überfüllt.

Der Rekorddürre dieses Sommers folgt gleich zu Beginn der Hurrikansaison nun ein Rekordsturm. Amerikas Wetter fällt von einem Extrem ins andere. „Um das Wasserdefizit der letzten Jahre auszugleichen, das an Amerikas Atlantikküste zu einer Jahrhundertdürre geführt hatte, werden wir ein paar tropische Stürme brauchen“, sagte noch vor einem Monat Robert Hirsch von Amerikanischen Geologischen Dienst. Floyd dürfte reichen. Ihm aber folgt schon Gert auf dem Fuß.

Floyd setzt das Muster der Wetterextreme der letzten Jahre fort. Vergangenes Jahr vertrieben Rekordstürme und Rekordfluten weltweit 300 Mio. Menschen. Das sind ungefähr so viel wie die Einwohner der USA und Deutschlands zusammen. In Amerika sind dieser Tage 2,5 Mio. Menschen auf der Flucht. Floyd wird sich sich in die Galerie von Naturkatastrophen einordnen, die die beiden vergangenen Jahre zu den bisher verlustreichsten und kostspieligsten machten. Mitch, der letztes Jahr Mittelamerika verwüstete, war der tödlichste Sturm im Atlantik in den letzten 200 Jahren. Er tötete 11.000 Menschen in Honduras, El Salvador, Nicaragua und Guatemala.

In diesem Jahrzehnt häufen sich verheerende Stürme in immer dichterer Folge. Während von 1940 bis 1990 die Hurrikanaktivität ungewöhnlich gering gewesen ist, nehmen Häufigkeit und die zerstörerische Kraft von tropischen Wirbelstürmen im Atlantik seit 1980 zu: 37 „Milliardenstürme“ haben Amerikas Ostküste heimgesucht, 31 davon seit 1981. Zusammen haben sie Amerikas Versicherungsindustrie 160 Mrd. Dollar gekostet.

Weltweit führte das Wetter letztes Jahr zu Schäden in Höhe von 92 Mrd. Dollar, die die Versicherungsindustrie bisher 91,8 Mrd. Dollar an Schadensregulierung gekostet haben, vier mal so viel wie während der ganzen Achtziger.

„Die Zunahme der Stürme ist die Kehrseite des globalen und säkularen Temperaturanstiegs“, erklärt Seth Dun, Klimaexperte beim World Watch Institut. Die sprunghafte Zunahme der Versicherungsansprüche aus Flut- und Sturmkatastrophen fiel in die wärmsten Jahre des Jahrhunderts – und sechs der bisher wärmsten Jahre überhaupt fielen in die 90er Jahre. Rekordtemperaturen heizen die Meere auf, was zu verstärkter Verdunstung und zu verstärkten Regenfällen in Überflutungszonen führt. Aus aufgeheizten Meeren beziehen darüber hinaus tropische Stürmen ihre Energie. Hinzu kommt, dass heute mehr Menschen als je zuvor im Bereich gefährlicher Stürme leben.