: Kleindeutschland in New York
„Sieben Prozent Deutsch“: Das war das Resultat der ersten New Yorker Volkszählung 1845. Die meistens dieser Deutschen, etwa zwanzigtausend, waren als verarmte Bauern nach 1816/17 gekommen. Dort ackerten sie wie wild und waren einfach nur froh, endlich ihr eigener Herr zu sein und nicht mehr für Fürst oder Krieg Abgaben leisten zu müssen. Sie sprachen ein wirres Kauderwelsch aus Plattdeutsch, Schwäbisch oder Badisch vermischt mit Englisch.
Als 1848 die gescheiterten bürgerlichen Revolutionäre in New York Zuflucht suchten, erstarrte ihnen beinahe das Blut in den Adern beim Anblick dieses Haufens. Nix im Kopf außer Saufen und Geldmachen. Um die deutsche Kultur zu retten, gründeten sie Gesangs-, Literatur- und politische Vereine. 1906 ertranken bei einer Wohltätigkeitsschifffahrt auf dem East River achtzig Prozent der verbliebenen Deutschen.
Die sinkende Nachfrage nach deutscher Gemütlichkeit, vor allem in Folge des Ersten und Zweiten Weltkriegs, ist auch eng verbunden mit der Änderung der Einwanderungsgesetze. 1921 war der erste große Einschnitt. Die Einwanderungsquoten für jedes Land beendeten die unkontrollierte Migration für die meisten Europäer. Seither müssen sich auch deutsche Auswanderer in eine internationale Warteliste eintragen.
Unter dem Rückgang der Einwandererzahlen litten alle deutschen Einrichtungen. Von den ehemals fünfzehn deutschen Zeitungen gibt es heute nur noch zwei, die 1845 gegründete Staatszeitung und den 1934 gegründeten jüdischen Aufbau. Beide kämpfen ums Überleben. „Das Durchschnittsalter unserer Leser ist 75“, erklärt Roman Elsner, Chefredakteur der Staatszeitung. Und das, obwohl 1990, zum ersten Mal seit 1965, die jährliche Einwanderungsquote drastisch hochgesetzt wurde. Nur: Die Deutschen, die jetzt nach New York kommen, sind jung, überdurchschnittlich ausgebildet und haben keine Sprachprobleme. „Die brauchen keine deutschsprachige Zeitung. Schon gar keine, die hauptsächlich aus Ankündigungen über das nächste Treffen des Schützenvereins besteht.“
Ein neues Produkt gibt es aber doch: den flyer. Konzept und Macher sind deutsch, die Sprache ist Englisch. Den Inhalt bestimmen Szenenews, Partytipps, Film- und Musikbesprechungen. Denn die neuen Deutschen kommen nach New York, um Spaß zu haben und Karriere zu machen, hauptsächlich in den Medien, im Film, in der Kunst oder der Musik. Im flyer finden sich die entsprechenden Informationen.
Die deutschen Vereine machen derweil Eindruck auf junge Menschen. Nachdem die meisten Kinder der Vereinsdeutschen abgewunken haben, sind es nun junge Amerikaner, wie Chris, die sich von den alten Deutschen eine kulturelle Aufwertung versprechen. Seine Uroma soll Deutsche gewesen sein, weshalb er nun versucht, seine kulturellen Wurzeln auszugraben: „Amerikaner ist jeder, Deutschamerikaner nur wenige.“ Also lernt er deutsche Liedertexte: Deutsches Vereinsleben als Ethnohobby. Kerstin Kohlenberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen