: Zum Rendezvous mit den Traumstimmen
■ Tölzer Knabenchor und Co. begeisterten beim Musikfest mit Schütz und Gabrieli
Die Musik von Heinrich Schütz und Giovanni Gabrieli ist für die meisten HörerInnen von heute eine fremde Welt geworden. Die Musik des Gabrieli-Schülers Schütz schafft die Synthese der „prima prattica“ und der „seconda prattica“, des alten und des neuen Stiles am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, für die deutsche Sprache so folgenschwer, dass der Pfarrer am Grab den Komponisten „Vater aller Musiker“ nannte. Das jedoch erschließt sich nur – und da hat Schütz durch die protestantischen Singbewegungen mehr interpretatorischen Schaden erfahren als jeder andere Komponist – über die Kenntnis der musikalischen Rhetorik und das Verhältnis von Instrumenten und solistischen Stimmen.
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass der größte Kenner der Schütz'schen Musik heute Holger Eichhorn ist, der die Berliner „Musicalische Compagney“ leitet: „Die Musik von Schütz muss man nicht interpretieren, man muss sie nur gut machen“, hat er einmal sehr pointiert gesagt. Und wie man das macht, löste jetzt im Musikfestkonzert in der Kirche Unser Lieben Frauen unter dem Titel „Gabrieli:Schütz – Repräsentative Klangpracht aus Spätrenaissance und Barock“ große Begeisterung aus.
Die Motetten von Schütz in wechselnden Besetzungen mit Posaunen, Dulcianen, Violinen, Zinken sang der klein besetzte Tölzer Knabenchor (unter Leitung von Gerhard Schmidt-Gaden), der an diesem Abend mit wahren Traumstimmen vertreten war. Die Art, wie einzelne Wörter in ihrem Sinn gestaltet wurden, wie das Verhältnis von Klang, Sprache und Affekt auf das Sorgfältigste ausbalanciert wurde, das kann man kaum besser machen. Sprachliche Klarheit, emotionale Stärke und instrumentale Flexibilität für immer neue Klangfarben prägte auch die Wiedergaben der architektonisch-explosiven Werke Giovanni Gabrielis, damals in Venedig berühmtester Komponist und vor allem auch Kompositionslehrer.
Der unglaubliche Einfluss, den seine für die Kirche San Marco geschriebene Raummusik für den Fortgang der Musikgeschichte hatte, ist heute schwer nachzuvollziehen, aber je länger man die Interpretationen der Tölzer und der Berliner hört, desto näher kommt diese Musik wieder.
Wenn man es schafft, diese Musik nicht von heute aus, sondern von ihren eigenen Voraussetzungen her zu hören, wird man überrascht von einer schon stark ausgeprägten Dynamik, von Dissonanzen für bestimmte Affekte, von melismatischen Wortausdeutungen: „Meister des Gesanges“, hat Heinrich Schütz seinen Lehrer genannt.
Ute Schalz-Laurenze
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