: Unschärfen, Kratzer und Schrammen
Fotokunst in Berlin: Rineke Dijkstra zeigt in der DAAD-Galerie eine „Berliner Serie“ mit jungen Mädchen im Park, und Tracey Moffat stellt im NBK erotische Fotografien aus dem 19. Jahrhundert nach ■ Von Brigitte Werneburg
Sie stellte ihre Kamera am Meer auf und wurde damit weithin bekannt: Rineke Dijkstra. „Beaches“ hieß ihre Serie, die die frontalen Porträts Jugendlicher beiderlei Geschlechts vor dem Horizont des Atlantiks oder der Nord- und Ostsee zeigte. „Kolobrzeg, Polen, 26. Juli 1992“ oder „Hilton Head Island, S. C. USA, 24. Juni 1992“ lauteten die Bildlegenden. Jetzt liest man in der DAAD-Galerie in der Kurfürstenstraße „Tiergarten, Berlin, June 7, 1998“ oder „Tiergarten, Berlin, June 27, 1998“.
Während ihres Stipendiums, das die Künstlerin eineinhalb Jahre lang nach Berlin verschlug, hat sie ihre Kamera also wieder ins Freie getragen, doch dieses Mal stellte sie sie im Park auf. Statt des niedrigen Horizonts der tief in den Bildraum laufenden Meereswellen bildet jetzt das satte Grün der Parkbäume den bildfüllenden Hintergrund, vor dem Dijkastra ihre jugendlichen Modelle, nun ausschließlich junge Mädchen, fotografierte. Auch hier gibt es selbstverständlich einen Horizont, den die Wiese markiert, auf der die Bäume wachsen.
Nur ist die Linie nun ganz nahe an die Porträtierten herangerückt. Damit sind die Mädchen völlig von der Situation des Parks umgeben, zumal sich im Dunkel des Laubes die Grenze zwischen Boden und Baumbestand – der über das Bildformat hinausreicht – verwischt. Die Differenz, die die Berliner Arbeiten von den vorangegangenen unterscheidet, ist deutlich.
Und doch knüpft die Berliner Serie ersichtlich an die „Beaches“-Serie an. Der unterschiedliche Charakter der Bilder rührt allein aus der unterschiedlichen Natursituation her, das fotografische Konzept wurde identisch beibehalten. Sonst aber setzt die Ausstellung auf subtile, etwas verrätselte Spuren – falls man sie nicht als kalauerhaft empfindet. Denn außer den Parkbildern hat Dijkstra auch Schülerinnen der Caspar-David-Friedrich-Schule fotografiert. Sachlich und nüchtern vor der weißen Wand. Zu denken gibt nun der Name ausgerechnet dieser Schule vor allem, weil unter ihren Fotografien plötzlich das großformatige Ölgemälde zweier Bäume auftaucht, das in seiner Malweise stark an die Manier des Romantikers erinnert. Das Gemälde, „Park Cecilienhof, Potsdam, 1999“, stammt von Bart Domburg, dem Lebensgefährten von Rineke Dijkstra. Er steuert ein weiteres Schülerporträt bei, nämlich das eigene, ein kleines Schwarzweißfoto, das 1967 von einem anonymen Fotografen aufgenommen wurde.
Natürlich geht die ausgelegte Spur tiefer als die oberflächliche Assoziation Schüler – Schülerinnen, Caspar-David-Friedrich-Schule – Naturromantik – Landschaftspark etc. Die Hängung ist auch eine Reflektion der Voraussetzungen, unter denen Rineke Dijkstras Arbeiten entstehen. Welchen Unterschied macht die Wahl des Bildmediums und welchen Unterschied macht es, wenn ein anonymer Fotograf das obligatorische Schülerporträt anfertigt beziehungsweise wenn sich die konzeptuell arbeitende Künstlerin ans Werk macht?
In Rineke Dijkstras Arbeiten sind klassische Porträtfotografien und Bezüge zu Ikonen der Hochkultur immer spürbar, sei es die Assoziation zu Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ bei der „Beaches“-Serie oder zu Eduard Manets „Frühstück im Freien“ bei der Tiergartenserie. Tracey Moffat, die andere bekannte Fotografin, die derzeit in Berlin ausstellt, nagelt dagegen eindeutig Filmkulissen zusammen, in denen sie ihre Bildfolgen inszeniert. Ihre Arbeiten eruieren das filmisch-fotografische Medium und seine Gebrauchsweisen im Fernsehen, in der Werbung, im Film und in Zeitschriften. Und wenn sie neuerdings wie in „laudanum“ (1998) eine fernere Vergangenheit bearbeitet, dann ist auch die bereits durch technische Bilder bekannt.
Schon der Titel „laudanum“ datiert die neunzehn Blätter ins 19. Jahrhundert zurück, als der Saft tatsächlich das berühmte „Opium fürs Volk“ war. Entsprechend hat Moffat auch das Ambiente eines herrschaftlichen Kolonialhauses der Jahrhundertwende gewählt, in dessen prächtiger Eingangshalle sie den Kampf zwischen der weißen Herrin und ihrer jungen Aborigine-Dienerin in Gang setzt.
Doch sie beutet für ihre historisierende Inszenierung nicht nur die ästhetischen, sondern auch die technischen Mitteln des Mediums aus. Die Bilder, die erotische Kunstfotografien der Zeit nachstellen und die Stilmittel des expressionistischen Stummfilms wie dramatische Gesten und Schattenwürfe zitieren, wurden im traditionellen Verfahren der Fotogravüre reproduziert. Ihre matte Tönung, die Unschärfen, Kratzer und Schrammen evozieren schon rein technisch den Anschein alter Fotografie.
Die Geschichte, die sich zwischen dem Anfangsbild in der Eingangshalle und dem Endbild entwickelt, ist wie immer bei Tracey Moffat offen. Gerade noch erteilte eine stolze Herrin einer demütig Fußböden schrubbenden Dienerin Befehle, da macht sie sich über die Dienerin her, zerschneidet ihre Kleider und belauert sie schließlich in ihrem nackten Schlaf. Die Bilder erscheinen wie Filmschnipsel, die der Betrachter zusammenfügen muss, will er die ihm versprochenen „Geschichte der O.“ – die Moffat zu dieser Serie anregte – vermeintlich sehen.
Aber weil die Abhängigkeit zum Film nur simuliert ist, wird der Betrachter dann doch Fotografien sehen – und keine Filmstills. Das erweist sich auch bei den bekannten Arbeiten, die im Neuen Berliner Kunstverein zu sehen sind. Bei „Something More“ zum Beispiel, der Serie von 1989, die Moffat schlagartig ins Rampenlicht der Kunstszene katapultierte, oder bei „Up in the Sky“ (1997) und „Scarred for Life“ (1994). Gerade im Vergleich zu den älteren Arbeiten ist es auch bei Tracey Moffat spannend zu beobachten, wie sie mit ihrer neuesten Arbeit, die sich in ihrem historischen Gewand so deutlich vom vorangegangenen Werk abzusetzen scheint, direkt an dessen Konzeption anschließt. Wie sich auch hier die Plots und Oppositionen ihrer Erzählung, Sexualität, Macht, Männer und Frauen, Einwanderer und Aborigines, Stills und Moving pictures wieder finden. Rineke Dijkstra: bis 17. 10, DAAD-Galerie, Kürfürstenstraße 58 Tracey Moffat: bis 24. 10, NBK, Chausseestraße 128
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen