: Die Aromat-Krise
■ Es kann nur ein Feinwürzmittel geben, sagt der Haushaltsvorstand
Vorige Woche war ich in meiner Eigenschaft als Nahrung beschaffender Hausmann on the road. Rucksackweise musste wieder Nährstoff ins Haus gekarrt werden, dessen Aufbereitung ebenfalls mir obliegt.
Darüber, dass dies alles seinen gesetzmäßigen Gang erfährt, wacht der nun bald sechsjährige Haushaltsvorstand, dessen, wir Eltern geben es schweren Herzens zu, recht einseitige Präferenzen den Einkaufszettel nachhaltig prägen und, im Licht kritischer Reflexion betrachtet, zukünftig für das Ansehen der Familie in unserem sozialen Umfeld vorrangig nachteilige Akzente setzen. Zu den basaltgehärteten Grundfesten, auf denen der kindliche Speiseplan ruht, gehört das Produkt Aromat der Firma Knorr. Selten wurde auf so schöpferische Weise der genrebeschreibende Untertitel dieses Erzeugnisses mit mehr Leben erfüllt: „Universal-Würzmittel“ steht auf der quiekegelben Nachfülltüte. Und ich schwöre bei Gott, das Kind kann weder lesen noch haben wir's ihm verraten. Nun ist ja der Hang unserer kleinen Mitbürger zu extrem gewürzten Speisen geradezu evident. Man glaubt, sie deckten an einem Tag den Kochsalzbedarf für die nächsten drei Erdzeitalter oder brächten die Grundversorgung der Bevölkerung mit Süßmitteln ernsthaft in Gefahr.
Unser Nachwuchs stellt hier keineswegs eine Ausnahme dar. Entgegen sonstigen Gewohnheiten kommt er der Aufforderung auf der Tüte umgehend nach, worauf die „Anwendung“ euphemistisch so umschrieben wird: „Einfach über die Gerichte streuen. Diese brauchen kaum noch zusätzlich gesalzen zu werden.“
Nun fügte es das Schicksal, dass ausgerechnet dieses gelbe Zauberpulver im Supermarktregal nicht vorrätig war. Stichproben in mehreren anderen Märkten unserer Region ergaben das gleiche erschütternde Ergebnis. Jähe Verzweiflung dämmerte in uns auf. Denn statt Aromat prangte allein die Konkurrenzmarke Fondor der tausendmal verwünschten Firma Maggi am nämlichen Platz; angestaubt, in traniges Gelb gehüllt, vom Feinschmecker zu Recht verschmäht. Auch wir machten die Erfahrung der nichtswürdigen Minderwertigkeit dieses sauberen „Feinwürzmittels“, als unser kleiner Chefverkoster augenblicklich in frei assoziierende Klageorgien verfiel und die diplomatischen Beziehungen zu seinen Erziehungsberechtigten zunächst für sieben Minuten aussetzte. Beschwichtigungen jeglicher Art: no result. Heimliches Umfüllen von Fondor in Aromat-Nachfüllbüchsen wurde gnadenlos als Betrugsversuch entlarvt und erschütterte das Vertrauensverhältnis nachhaltig.
In meiner Verzweiflung rief ich in der Schaltzentrale des internationalen Würzmultis Best Food, vulgo im Küchenstudio der Firma Knorr an. Doch selbst die in Form eines einfachen Fragesatzes formulierten Gründe meines Anrufes wurden im Aromat-Headquarter nicht sofort inhaltlich vollständig erfasst. Vielmehr wurden sie mit der lapidaren Bemerkung abgetan, Aromat sei nur ein „Randprodukt“ der breit gefächerten Knorr-Erzeugnispalette, und, nein, man könne auf die Schnelle auch kein Infomaterial zusenden, die betreffende Kollegin bereite sich soeben auf den Urlaub vor, und die Vertretung, äh, für die taz, sagten Sie?, ... das läge bestimmt ganz hinten im Archiv etc.
Dabei hatte ich nur nach Genese und Verteilungsgesetzmäßigkeiten dieses Produktes gefragt, um die Beschwerde über die Nichtbelieferung unseres Landstreifens mit Aromat nicht gar zu profan wirken zu lassen. Sogar der Besorgnis um Einstellung der Produktion des Universal-Würzmittels und damit um unser aller Wohlergehen hatte ich Ausdruck verliehen. Verbunden mit innerem Hader darüber, dass hier wieder eine menschenfreundliche Errungenschaft von den gewissenlosen Knechten der Neuen Mitte auf dem schmutzigen Altar des Neoliberalismus geopfert werden sollte. Wie auch immer.
Das Infomaterial ist noch nicht gekommen, dafür jedoch erstrahlen die Tütensuppenregale unserer Supermärkte seit gestern wieder im königlich gelben Aromat-Ornat. Und die kindlichen Augen strahlen nicht minder. Michael Rudolf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen