: Scheitern verleiht Flügel
Ein gewisser asozialer Touch: Mit „Alles aus Liebe“ scheitert Nick Cassavetes bei dem Versuch, die Beziehungsfilme seines Vaters John fortzusetzen ■ Von Ergül Waidmann
„Liebe ist schwierig.“ Mitten im Film sagt Eddie (Sean Penn) diesen Satz, beiläufig. Man glaubt es ihm unbenommen, nach all dem, was passiert ist. Nick Cassavetes hat mit diesem Film, der in Cannes 1997 Sean Penn und dem Kameramann Thierry Arbogast Preise einbrachte, ein unvollendetes Projekt seines Vaters verwirklicht. Es ist sein zweiter Film als Regisseur. Wieder ist es eine Art Familienproduktion, wie es sich für einen Cassavetes gehört (die beiden Hauptdarsteller sind auch real verheiratet).
Die Kamera führt uns am Anfang in die Stadt, Björk singt „Oh, so quiet“ und schreit dabei laut ihre Wünsche heraus. Unmittelbar darauf wird es Maureen (Robin Wright Penn) ihr nachmachen. Ihr Mann Eddie ist seit drei Tagen verschwunden, ohne Nachricht, er tut das wohl öfter. Sie irrt hin und her zwischen der Absteige, in der sie lebt, und der Bar, wo sie und ihre Freunde (Harry Dean Stanton: grandios lakonisch und einfach da) rumhängen. Sie lässt sich von ihrem schmierigen Nachbarn mit harten Drinks trösten und entgeht knapp, aber ziemlich lädiert seinem Vergewaltigungsversuch. Alles strahlt die Edelschäbigkeit von Werbeclips aus, und Robin Wright Penn wirkt wie ein auf Junkie geschminktes Model, dessen Desolatheit und Verzweiflung man glauben soll, weil sie alle naselang hinfällt oder irgendwo anstößt.
So plötzlich, wie er weg war, ist Eddie dann wieder da. Ein zorniger junger Mann mit Schmalztolle und einer heftigen Leidenschaft für seine Frau. Auch fuchtelt er mit der Knarre rum, ein Kleinkrimineller mit bösem Ende, denkt man, 50er-Jahre-Existenzialismus à l'americain, Nicholas Ray wirft seine Schatten. Aber prompt straft er uns und seine Frau Lügen, indem er sich in Wahnfantasien ergeht. Und sie gibt ihm Recht, weil sie aus Sorge um ihn oder was er anstellen könnte, notorisch die Unwahrheit sagt und anstatt ihm zu vertrauen die Männer von der Klapse informiert. Im Verrat ähnelt Robin Wright Penn sehr Jean Seberg, obwohl es ihr an deren kühler Grausamkeit mangelt.
So schnell, wie ein Paranoiker wahrnimmt, schießt Eddie schließlich um sich, springt durch die Glasfront und wird gefasst. Und hier beginnt ein ganz neuer Film. Wenn Gena Rowlands als psychiatrische Gutachterin den Raum betritt, erscheint die vorherige Einblendung „Zehn Jahre später“ unnötig, in ihrem Auftritt scheinen die über 40 Jahre auf, die zwischen ihren ersten Filmen mit ihrem Mann und dem jetzigen mit ihrem Sohn liegen, und in diesem einen Moment ist die Geschichte ihrer Verwandlungen präsent.
Die Wandlungen der anderen Figuren werden nicht dargestellt, sondern nur behauptet. Der Film zerfällt in zwei Teile, und es tut sich ein Abgrund auf, in den der Regisseur, aus welchen Gründen auch immer, scheinbar nicht blicken wollte, vielleicht, weil er dann eine andere Geschichte oder überhaupt eine Geschichte hätte erzählen müssen. Jedenfalls verkündet Eddie fortan die Botschaft von Glaube Liebe Hoffnung und will zurück zu seiner Frau. Sie hat sich allerdings scheiden lassen, lebt mit ihrem neuen Mann und drei Kindern ein gut situiertes Leben.
Vor diesem Hintergrund erst wirkt das Spiel Wright Penns mit dem gewissen asozialen Touch. John Travolta, als liebevoller und offensiver Ehemann wahnsinnig gut besetzt, kämpft um sie und verliert. Zwei ebenbürtige Männer begegnen sich, direkt und ehrlich, ohne doppelten Boden und ohne Blutvergießen in der Liebe zur selben Frau, von der sie glauben, sie zu brauchen, um lieben zu können. Sie verlässt Mann und Kinder, darunter auch die gemeinsame Tochter mit Eddie, die sich für den entscheidet, der ihr Vater sein will.
Man ahnt, dass Cassavetes die Geschichte einer radikal wahrhaftigen, jegliche Sicherheit zurückweisenden Liebe erzählen wollte, und bleibt dennoch unberührt. Zu offensichtlich ist das Scheitern von „Alles aus Liebe“ – sei es, dass so etwas schwer zu zeigen ist, oder weil es im Zusammenspiel seiner Akteure nicht gelingen konnte.
Als die Kamera uns wieder auf ihre Flügel nimmt und aus der Stadt führt, sieht man zwei ganz still in sich versunkene Menschen und erkennt, dass Liebe schwierig ist, aber noch schwieriger Vertrauen. „Alles aus Liebe“. Regie: Nick Cassavetes. Mit Sean Penn, Robin Wright Penn, John Travolta, Gena Rowlands u .a. USA 1997, 100 Min.
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