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Welchen Kniefall soll Adriano Sofri machen?

betr.: „In Italien kommt der Fall Sofri wieder auf den Tisch“ und „Verfehlte Prozessstrategie“, taz vom 26. 8. 99

Zu Adriano Sofri und seiner Prozessgeschichte gibt es genügend Dokumente, Presseberichte und Bücher. Man braucht sie nur zu lesen, um an dem ganzen Justizverfahren zu zweifeln. Doch Ihr Korrespondent Werner Raith zweifelt lieber an den Angeklagten.

Die taz-Artikel lassen jedenfalls den Eindruck entstehen, Sofri sei wohl eigentlich schuldig, wolle sich aber einer mehr oder weniger gerechten Bestrafung entziehen. Warum haben die drei Angeklagten es dann wohl abgelehnt, sich ins Ausland abzusetzen, was sie jederzeit hätten tun können? Warum reiste Pietrostefani extra aus Paris an, um die Haft anzutreten, obwohl er nie ausgeliefert worden wäre, und warum lehnten die drei jedes Gnadengesuch ab? Dazu schweigt Raith.

„Der Beschluss [des Gerichts in Venedig] spaltet die politischen Lager.“ Eine solche Aussage dürfte tagtäglich auf mehr als einen Sachverhalt zutreffen. Aber im Fall Sofri ist sie schlichtweg falsch. Die italienische Öffentlichkeit hat bisher quer durch alle politischen Lager einschließlich der Rechten mit äußerst breiter Unterstützung Sofris reagiert, obwohl Sofri nach wie vor eine Symbolgestalt der Linken ist. Raith aber zitiert ausgerechnet den Verbalrüpel und Ex-Faschistensprecher Gasparri mit dem Hinweis auf Sofris angebliche „mächtige Lobby“. Es kann sein, dass es nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens gekommen wäre, wenn es nicht um die Figur Adriano Sofri gegangen wäre, aber ohne das Feindbild Sofri wäre es erst gar nicht zum Prozess gekommen.

Sofri habe sich – laut Raith – „erst zuletzt von dem gewalttätigen Klima der 70er-Jahre distanziert, das auch er mit geschaffen“ habe. Aber Sofri hat nie geleugnet, in den Auseinandersetzungen der 70er-Jahre zu dem Klima der Gewalt verbal beigetragen zu haben. Dennoch hatte er als anerkannter Führer von Lotta Continua schon damals deutlich Position gegen den politischen Terrorismus bezogen. Will man allerdings Worte und Taten undifferenziert gleichsetzen, so waren viele von uns damals Mörder. Die sozialen Bewegungen der 70er-Jahre wurden nicht zuletzt durch den Terrorismus ruiniert. Der Versuch, sie im Nachhinein mit dem Terrorismus zu einem Paket zu schnüren und über Bord zu werfen, oder über Gerichtsurteile Geschichte zu schreiben, sollte von einem kritischen Journalismus eigentlich kritisch hinterfragt werden.

Für Raith habe Sofri „die Chance einer Aufarbeitung jener Zeit während des langen Prozesses gründlich vertan“. Welchen Kniefall hätte sich Herr Raith denn gerne gewünscht? Wie dumm auch, dass die Angeklagten eines Mordprozesses nicht die Gelegenheit ergreifen, Historisches aufzuarbeiten. Abgesehen davon ist ein solcher Vorwurf ausgerechnet Adriano Sofri gegenüber völlig verfehlt, der sich als linker Intellektueller nach dem Ende der Bewegung nicht klanglos verabschiedet hat, sondern weitergedacht und -geschrieben hat, ohne dabei seine Vergangenheit zu verleugnen. Walter Kögler, Berlin

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