Meister der Tränen

■ Helden der Alten Musik und des Jazz knieten nieder vor Dowland

“Lachrimae Novae – neue Perspektiven zur Musik John Dowlands“ hieß der Abend in der Kirche Unser Lieben Frauen, zu dem sich derart verschiedene Leute zusammengetan hatten, dass erst einmal Skepsis angesagt war. John Potter, Tenor aus dem berühmten Hilliard-Ensemble, Maya Homburger, Barockviolinistin und häufige Konzertmeisterin John Eliot Gardiners, John Surman, Saxophonist und als solcher Weltstar, Barry Guy, Kontrabass und einfallsreicher Experimentator Neuer Musik und Stephen Stubbs, Laute, und einer der großen Kenner der Musik des 17. Jahrhunderts, hatten sich da zusammengefunden. Weltberühmt also jede/r Einzelne, gelang es den Fünfen trotzdem, ihre riesige Könnerschaft in den Dienst eines Ausdrucks, dem der „Lachrimae“ von John Dowland zu stellen, ihm unterzuordnen. Diese Spannung, die von der Liebe zu diesem Komponisten zeugt, machte die aufregende Qualität dieses Abends aus.

John Dowland, der nach einem zeitgenössischen Urteil „mit seinem Lautenschlag die Sinne bezwinge“, ist nicht nur an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert der Meister der Melancholie, der Meister der Tränen. Wie sehr er es geblieben ist und wie sehr die melodische und harmonische Expressivität gerade seiner „Lachrimae“-Kompositionen noch heute „bezwingt“, davon zeugte dieser Abend auf wunderbare Weise. Zuerst John Surman: Wie der seiner Bassklarinette und seinem Saxophon Klangfarben historischer Instrumente entlocken konnte, war erstaunlich. Dann Barry Guy, im Jazz ebenso zu Hause wie in der Alten Musik: Auf reichhaltige Weise ließ er sein Instrument sprechen, wie eine Laute klingen. Stephen Stubbs zeigte einmal mehr, wie unerreicht seine Begleitsensibilität ist. John Potter, der die Dowland'schen Lieder unnachahmlich im Original sang – welches sängerische Piano transportiert einen derart tiefen Ausdruck? Und nicht zuletzt Maya Homburger, die es mit ihrem Instrument am schwersten hatte, in diese urige Truppe hereinzukommen. Sie tat es mit aller Zurückhaltung und großer innerer Intensität.

Es ist schwer zu beschreiben, wie dieser einzigartige und anlässlich des Musikfestes zum ersten Mal vorgestellte Abend seine Gestalt bekam: Aus den originalen Liedern Dowlands wuchsen kleine und große Improvisationen, die hineinführten in das nächste Lied. Oder die Lieder wurden mit neuen Klängen unterlegt. Die Gefahr dabei ist, dass sich die Dinge verselbstständigen, auch veräußerlichen. Genau das war nicht der Fall und zwar dank einer ungeheuren Homogenität des Ausdrucks, die ihren Höhepunkt im letzten Stück hatte. Dort improvisierte dann auch Potter – allerdings an der Grenze zum Kitsch. Anmut, Heiterkeit und leidenschaftliche Schwermut, die John Dowland ausstrahlt, war die durchgehende Überschrift für ein musikalisches Experiment von großer Innerlichkeit, von großem Können und von großer Bescheidenheit. Sowohl Barry Guy als auch John Surmann können da ganz anders; hier hielten sie sich zurück und freuten sich sichtbar über die gemeinsame Sache.

Ute Schalz-Laurenze