Apokalypsenangst am Wannsee

■ Der amerikanische Journalist Mark Hertsgaard bereiste sechs Jahre die ökologischen Brennpunkte dieser Welt. In der American Academy präsentierte er jetzt seine Bilanz

Freitagnachmittag, Wannsee-Idylle pur. Sonnenschein, strahlend blauer Himmel und Boote auf dem Wasser. Das Thema an diesem Nachmittag in der American Academy ist weniger sonnig. Wird die Menschheit die nächsten hundert Jahre überleben? Der amerikanische Autor Mark Hertsgaard ist zu Gast. Sechs Jahre ist der Journalist und Dozent um die Welt gereist, von Krisenregion zu Krisenregion.

1991, kurz nach Beginn des Golfkrieges, hatte er die Nase voll vom Leben und Arbeiten in Amerika: Hertsgaard beschäftigt sich mit Atompolitik, Hungersnöten und Umweltzerstörung, und auch in den USA unterliegen solche Themen einer weit verbreiteten und von den meisten stillschweigend akzeptierten Zensur in den Medien. Der Ruf zu einer Konferenz nach Stockholm kam ihm zu diesem Zeitpunkt gerade recht. Wenn er ohnehin schon den weiten Weg nach Schweden zurücklegen würde, dachte Hertsgaard damals, dann könnte er eigentlich auch weiterreisen – und packte die Koffer gleich für einige Jahre.

Eine Bestandsaufnahme der Umweltzerstörung rund um den Globus war sein Ziel. Seine Erlebnisse hat Mark Hertsgaard jetzt in einem Buch zusammengefasst: Vergiftete Flüsse in China, abgeholzte Regenwälder in Brasilien, extreme Luftverschmutzung in Thailand, Hungersnöte im Sudan und radioaktive Verseuchung in Russland – die Liste der Horrormeldungen in seinem Buch ist unendlich lang. Für Optimismus bleibt auf den ersten Blick kein Platz.

Mark Hertsgaard ist ein begnadeter Redner. Entspannt sitzt er in der American Academy im Sessel, unterstreicht seine Worte mit Handbewegungen, und sagt das, was man eigentlich nicht hören will: „Einer von drei Menschen stirbt in China an den Folgen der Wasser- und Luftverschmutzung. China ist zwar weit weg, aber die Probleme dort haben sehr starken Einfluss auf das Weltklima. Wenn wir die ökologischen Probleme dieses Planeten nicht sofort angehen, dann müssen wir hier bald auch keine anderen Probleme mehr lösen.“ Pause. Und dann: „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir schnell genug reagieren, um die drohende ökologische Katastrophe rechtzeitig abzuwenden.“

Keine Zeit also, um uns angesichts der scheinbaren Ausweglosigkeit der Probleme von Panik oder Gleichgültigkeit lähmen zu lassen. Hertsgaard sagt „wir“ und meint es auch so: Jeder Einzelne wird von Hertsgaards Worten in die Verantwortung gerufen. „Unser erstes Ziel muss es sein, die Ressourceneffizienz zu erhöhen. Die Technologien zur Verringerung der Umweltverschmutzung sind vorhanden, wir müssen sie nur einfordern. Der gegenwärtige Markt ist auf dem ökologischen Auge blind.“

Aus dem Publikum kommt die Frage nach der Finanzierbarkeit der umweltfreundlicheren Technologien. „Es ist falsch zu glauben, dass Umweltschutz die Wirtschaft belaste. Alles, was wir zum Schutz der Natur tun, ist zum Beispiel auch ein Mittel, etwas gegen die hohe Arbeitslosigkeit zu tun. Es ist eine sehr einfache Rechnung. Die müssen die Politiker von heute nur begreifen. Wenn sie sich ein bisschen mit den Fakten des Umweltschutzes auseinandersetzen würden, dann würde ihnen schnell klar werden, dass sich Umweltschutz und profitable Wirtschaftspolitik keinesfalls ausschließen.“

Hertsgaard stellt sich einen „Green Global Deal“ vor, ein „globales grünes Abkommens“, mit dem die Wiederherstellung der geschädigten Umwelt zur Geschäftsidee des 21. Jahrhunderts wird: Die Marktwirtschaft als ökologische Wunderwaffe?

Hertsgaard ist ein ungewöhnliches Buch gelungen. Es ist eine Mischung aus sachlicher Bestandsaufnahme, Horrorszenario und unterhaltsamer Erzählung. Und immer wieder stehen individuelle Schicksale im Vordergrund. So kommen die globalen Probleme näher. Einfache Menschen sind die Stars seines Buches – von ihnen habe er am meisten gelernt, sagt Hertsgaard.

Manchmal wird es dann sogar lustig: Wenn er von seinem stets orientierungslosen chinesischen Dolmetscher Zhenbing erzählt oder die Geschichte vom heftig flirtenden brasilianischen Pfarrer. Und dann wieder ganz ernst. Eindringlicher als Hertsgaard kann man es nicht formulieren: „Jeder weiß, dass es höchste Zeit ist, etwas zu tun. Wir müssen alle zusammen Geschichte umschreiben, damit wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben. Wir müssen bloß die Ärmel hochkrempeln und uns an die Arbeit machen.“ Katharina Sieckmann
‚/B‘ „Expedition ans Ende der Welt: Auf der Suche nach unserer Zukunft“. Übers. von Sebastian Vogel. S. Fischer Verlag 1999. 520 S., 49,80 DM