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■ Kieler Landtag kassiert Volksentscheid zur RechtschreibungEuer Wille ist uns sch...egal

Der Landtag war so schnell wie selten. In Kiel trafen sich die gewählten VertreterInnen Schleswig-Holsteins vergangenen Mittwoch zur ersten Lesung. Schon am Freitag fiel dann die Entscheidung. Warum nur hatten die Parlamentarier so eine Eile? Es war, ganz einfach, sehr unappetittlich, was der Landtag da hinter sich zu bringen hatte: Die Volksvertreter waren gekommen, einen Beschluss derjenigen zurückzunehmen, die ihre Auftraggeber sind.

Das Volk, sagen wir es weniger pathetisch: die Mündigen, die Wahlberechtigten in Schleswig-Holstein hatten gerade mal vor einem Jahr die Rechtschreibreform in den Schulen des Hohen Nordens gestoppt. 56 Prozent der Stimmberechtigten waren damals gegen Neuschreib. Dafür waren, zum Vergleich, gerade mal 29 Prozent. Ein unangenehmes, gleichwohl aber glasklares Votum des Souveräns, von dem die parlamentarische Demokratie ihre Legitimation bezieht. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz, und diese Formel ist nicht etwa pittoresker Nebenaspekt. Zusammen mit der Würde des Menschen (Artikel 1) ist die Staatsform Demokratie des Artikel 20 das unveränderbare Kernstück der Verfassung – und, viel wichtiger, die Idee unseres politischen Zusammenlebens.

Man kann von den Gegnern der neuen Rechtschreibung halten, was man will. Wer möchte schon mit dem schrillen Mathias Dräger für das „ß“ kämpfen? Das Votum des Kieler Landtages aber sendet eine andere, verheerende Botschaft aus: Eure Meinung, euer Wille ist uns scheißegal!, haben die Volksvertreter dem Wahlvolk zugerufen. Besonders schlimm ist dabei, dass Grüne und SPD mitgeholfen haben, das Kieler Plebiszit zu verhöhnen – für das sie im Bund werben. Das führt zu – wie hieß es doch gleich? – Politikverdrossenheit. Christian Füller

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