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Menschenrechte gegen Souveränitätsrechte

Heftige Debatte auf der UNO-Vollversammlung. Kofi Annan fordert Stärkung des Schutzes von Zivilisten vor Gewalt. Widerspruch aus Algerien und Kolumbien. Angst vor zunehmenden Eingriffen    ■ Aus Genf Andreas Zumach

In der UNO-Generalversammlung in New York ist eine Grundsatzdebatte über die Einschränkung nationaler Souveränitätsrechte im Falle von Völkermord und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen entbrannt. Zum Auftakt der diesjährigen Herbstsitzung der Generalversammlung am Montag hatte Generalsekretär Kofi Annan gefordert, den Schutz von Zivilisten vor Gewalt künftig über die Rechte souveräner Staaten zu stellen.

„Massive und systematische Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht geduldet werden“, erklärte Annan vor Regierungsvertretern aus 188 Staaten. Das „traditionelle Verständnis von staatlicher Souveränität“ werde dem „Streben der Völker nach ihren grundlegenden Freiheiten nicht mehr gerecht“. Annan nannte es eine „tragische Ironie“, dass bei vielen Krisen nicht oder nicht rechtzeitig eingeschritten werde, obwohl mit wesentlich weniger gefährlichen Einsätzen als zuletzt in Jugoslawien gehandelt werden könne.

„Von Sierra Leone bis zum Sudan, von Angola bis zum Balkan, von Kambodscha bis Afghanistan gibt es zahlreiche Völker, die mehr als Sympathie von der internationalen Gemeinschaft benötigen“, betonte der UNO-Generalsekretär. Es sei „die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts, dass die Vereinten Nationen und der UNO-Sicherheitsrat Einigkeit beim Schutz der Menschenrechte erzielen“.

Obwohl Annan mit ähnlichen Formulierungen bereits im April vor der UNO-Menschenrechtskommission in Genf die in der UNO-Charta bislang als unantastbar verankerte „nationale Souveränität von Staaten“ in Frage gestellt hatte, stieß er am Montag in New York zum ersten Mal auf Widerspruch. Der algerische Staatschef Abdelaziz Bouteflika erklärte, die Souveränität der Staaten stehe „über dem Recht der UNO“ auf Einmischung. Bouteflika wörtlich: „Souveränität ist unsere letzte Verteidigungsmöglichkeit vor den Regeln einer ungleichen Welt.“ Auch Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana beharrte auf dem absoluten Verbot jeglicher fremder Einmischung in „innere Angelegenheiten“ eines souveränen Staates.

Ausgelöst wurde die offene Debatte durch die militärische Intervention der Nato im Kosovo ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrats sowie durch den jüngsten Beschluss des Rates zur Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe nach Osttimor. Die Nato-Intervention hat bei einer Reihe von Staaten des Südens – insbesonders in Asien – die Sorge ausgelöst, sie könnten als nächster zum Ziel einer Intervention der Militärallianz werden.

Das Vorgehen der Nato hat die ohnehin schwach ausgeprägte Bereitschaft vor allem einiger asiatischer Staaten (z.B. Nordkorea, Indien, Pakistan) zu Rüstungskontrolle, Abrüstung oder den grundsätzlichen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen noch weiter verringert. Auch die Bemühungen um einen weitgehenden Konsens unter den 188 UNO-Staaten über schwere Menschenrechtsverstöße als Anlass für einen vom Sicherheitsrat sanktionierten Eingriff in „innere Angelegenheiten“ wurden durch die Nato-Intervention erheblich erschwert. Für Überraschung und teilweise Unruhe sorgte dann jedoch die Zustimmung Indonesiens, des viertgrößten Staates, zur Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe, die durch ein Erzwingungsmandat nach Kaptitel 7 der UNO-Charta in „innere Angelegenheiten“ eingreift. Dass China sich bei diesem Beschluss des Sicherheitsrates diesmal nicht enthielt, sondern zustimmte, wurde mit großer Aufmerksamkeit registriert.

Bundesaußenminister Joschka Fischer dürfte in seiner heutigen ersten Rede vor der UNO-Generalversammlung darum bemüht sein, die Nato-Intervention im Kosovo als notwendige und völkerrechtlich legitime Ausnahme zu verteidigen und ansonsten die „gewachsene Bedeutung“ der UNO zu betonen und ihr stärkeres Engagement in Konflikten zu fordern. Viele Mitglieder der Generalversammlung interessiert, was Deutschland konkret dazu beitragen wird, die UNO hierzu in die Lage zu versetzen. Jospin und Cook kamen entsprechenden Erwartungen am Montag nicht nach.

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