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Die Grenze in Deutschland verläuft nicht – wie bisher vermutet – zwischen Ost und West. Vielmehr will der reiche Süden sich vom armen Norden abgrenzen: Ab heute verhandelt das Verfassungsgericht über den Finanzausgleich

Kurt Biedenkopf sieht Licht am Ende des Tunnels. Die Beschäftigungsquote in Sachsen, verkündete er jüngst, sei inzwischen die „vierthöchste“ in Deutschland: hinter Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Und auch Ministerpräsident Bernhard Vogel spricht gern davon, dass sein Thüringen „das Bayern“ unter den neuen Bundesländern sei. Dabei brachte es das Land beim „Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Erwerbstätigen“, dem Gradmesser für die Wirtschaftskraft, 1998 gerade mal auf 46.920 Mark. Schlechter ist keiner. Für Vogel wie Biedenkopf gilt daher: Am süddeutschen Wesen soll der Osten genesen. Denn Bayern und Hessen sind mit 103.233 bzw. 120.728 Mark die Top 2 unter den Flächenstaaten. Baden-Württemberg folgt mit 103.160 Mark nur wenig abgeschlagen.

Die Bewunderung durch den Südosten kümmert die wirklichen „Südstaaten“ jedoch wenig. Jetzt proben sie den Aufstand gegen den Rest der Republik. Das System des Länderfinanzausgleichs soll mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die ab heute verhandelt wird, gekippt werden. Denn nach vollzogenem Ausgleich findet sich z.B. das Geberland Hessen mit einer Finanzkraft von fast 18 Prozent über dem Durchschnitt nur noch auf Platz 9. Dagegen rückt das zweitärmste Bundesland Bremen dann auf Platz 1. „Eine absurde Übernivellierung“, so Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU).

Doch was ist das Geheimnis der Südstaaten? Sind die Menschen im Süden fleißiger als die im Norden? Oder sind die drei Länder auf Grund ihrer Lage attraktiver für die Wirtschaft? Tatsächlich scheint einiges dafür zu sprechen, dass ein qualifiziertes Bildungssystem die Grundlage für den Erfolg ist. Ein hinreichendes „Angebot“ an Facharbeitern erfüllt etwa die Anforderungen der Automobilindustrie in Stuttgart (DaimlerChrysler), in München und Ingolstadt (BMW und Audi) sowie im hessischen Rüsselsheim (Opel). Die Automobilindustrie mit allen Zulieferern, Händlern und Werkstätten ist in Deutschland noch immer eine Wachstumsbranche – und die größte dazu.

Neben die traditionelle Industrie traten die Zukunftstechnologien. So schaffte die rot-grüne Regierung von Hans Eichel die administrativen Voraussetzungen, um Hessen zum Homeland für die Bio- und Gentechnologie zu machen. Etwa 30 neue Firmen der Branche, mehr als in den Ostländern, ließen sich hier nieder.

Diesen Erfolg würden andere gern wiederholen. So träumt auch der künftige saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) davon, Zukunftstechnologien an die Saar zu holen und sich von der maroden Stahl- und Kohleindustrie verabschieden. Doch die Futureworld-Unternehmen haben ihre Standorte eben schon gefunden. Auch gibt es in Saarbrücken keinen Weltflughafen wie in Frankfurt am Main. Es gibt keine Bundesbank, keine Europäische Zentralbank und keine 500 weiteren Bankhäuser. Keine Erfinderdichte wie in Baden-Württemberg, wo die Zahl der Patentanmeldungen alle anderen Länder Europas übertrifft. Und auch kein Zentrum für Medien, für die Raumfahrt und den Anlagenbau wie in München. „Wo Tauben sind, fliegen Tauben hin“, sagt ein Sprichwort.

Wer jedoch genauer hinschaut stellt fest: In der Rhön ist die Arbeitslosigkeit genauso hoch wie im Thüringer Wald. Es sind nicht die Südstaaten, die boomen, es sind die Regionen Rhein-Main, Rhein-Neckar und München, die in Konkurrenz zu anderen europäischen Regionen – Mailand, London, Paris – stehen. Auf diesem Weg werden die Kommunen immer mehr zu Akteuren der internationalen Politik. Die Messe in Frankfurt etwa arbeitet schon lange mit der Messe in Mailand zusammen – weniger mit der in Leipzig. Die ehemalige Kulturdezernentin der Stadt, Linda Reisch, bekannte gleich nach der Wende, dass ihr „Milano“ nahe sei, sie aber mit Leipzig „fremdele“.

Einer solchen Offenheit gegenüber der Welt gehört die Zukunft. Das weiß auch Roland Koch; gerade wenn er seinen Wahlerfolg der Unions-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft verdankt. Doch inzwischen haben seine Äußerungen hierzu schon einen anderen Ton. Bei der Trauerfeier für Ignatz Bubis rief Koch zum Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit auf. Gerade in Frankfurt hatten Spitzenmanager die Unterschriftenaktion der Union als „Gefahr für den Standort“ bezeichnet. Eine ausländerfeindliche Äußerung etwa bei der Flughafen AG ist ein Kündigungsgrund.

Um ihre Länder weiter voran zu bringen, denken die Regierungen der Südstaaten über eine intensive Zusammenarbeit nach. Eine eigene „Reaktorsicherheitskommission“ haben sie bereits gegründet – als Gegengewicht zur atomkritischer gewordenen Kommission der rot-grünen Bundesregierung. Auch in der Schulpolitik gleichen sie ihre Systeme an. Eine gemeinsame Erklärung der drei Ministerpräsidenten zur „Notwendigkeit einer leistungs- und wettbewerbsorientierten Reform des Föderalismus“ liegt vor. Die generelle Zielsetzung: „Stärkung der Eigenverantwortung der Länder.“ Und was heißt das konkret? „Die Erschließung eigener neuer Einnahmequellen“, sagt Koch und meint, dass die Länder über mehr Steuereinnahmen selbst verfügen wollen. Ein klarer Angriff – gegen den Bund. Klaus-Peter Klingelschmitt, Frankfurt/M.

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