Hauptstadthysterie

■ Die Sterne und Mina formulieren eine Art Berliner Pop-Feeling als Ironie

Zu den wenigen Bands, die dem staatlich sanktionierten Berlin-Umzug nicht tatenlos gegenüberstehen, sondern gleich kräftig mitanpacken, zählen Die Sterne. Wo ist hier, fragt das aktuelle Album der Hamburger, um mit der Single „Big In Berlin“ gleich die Antwort zu liefern. Früher wäre das einem Sakrileg gleichgekommen. Wer wollte schon big in einer Stadt sein, die in Relation zu ihrer Größe als Pop-Provinz verschrien war? Doch hat nun, wie es scheint, die Hauptstadthysterie auch hier gesiegt. In der Rolle der teilnehmenden Beobachter eines plakativen Größenwahns reiten Die Sterne für Hamburg vorneweg.

Doch die Art, wie Sänger Frank Spilker im „Big in Berlin“-Video als Electric Cowboy hoch zu Ross unterm Brandenburger Tor hindurchtrabt, konterkariert die Hoffnung auf den Glanz der Hauptstadt mit der Lächerlichkeit einer solchen Inszenierung. Der nur mühsam elektrifizierte Desperado verblasst im Lichterglanz der Großstadt, seine Montur beeindruckt gerade mal ein paar Stadtindianer. So erscheint der vermeintliche Triumph wie ein Karnevalszug und die Hauptstadt wird zur Kulisse prahlerischer Pappkameraden. Doch zum Glück kennen die Sterne sich aus in Berlin.

Mit Mina folgt ihnen eine Band, die wie keine zweite ein neu entstehendes Berliner Pop-Feeling auf den Punkt bringt. Zu jung, um sich noch heute an das Mauer-Syndrom zu erinnern, sucht das Quartett recht unbefangen einen Weg zwischen dem Indie-Rock der großen Brüder und der lockeren Clubkultur der 90er. Minas Musik ist nicht neu, dafür aber modern. Und vor allem: sie ist tanzbar. Ein kontemporärer Leichtklang, der den Groove in Schlagzeug und Orgel packt, um ihn dann mit einem Loop, einem Bass und einem Kopfnicken als fette Disco wieder zu entlassen. Das macht Spaß.

Kryptonite,ihr jüngst erschienenes erstes Album, kommt daher auch ohne Worte aus. Das, was es zu sagen gibt, ist in den Songtiteln gut aufgehoben, die da u.a. heißen „Kupferfarben“ und „Svens Schlittschuhe“. Berliner Optimismus trifft hier auf eine Art Sprachlosigkeit, die Die Sterne einst versuchten, in Worte zu fassen. Wenn so etwas zur Zeit wirklich big ist in Berlin, werden es die Hamburger auf Dauer schwer haben.

Michael Hess

So, 26. September, 21 Uhr, Markthalle