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Regattabahnen der Kunst

Heilige Orte und mehr „kulturelle Aktivität“: Zaha Hadid baut in Rom das neue Museum des 21. Jahrhunderts. Die Stadt sucht den Anschluss an die Gegenwart  ■   Von Marina Collaci

Wie ein verwegenes Wasserspiel, aus mehreren auf verschiedenen Ebenen sich kreuzenden Flussläufen gebildet, die wiederum in mal fünf, mal acht parallele Spuren geteilt sind, ganz als seien sie kurvenreiche Regattabahnen – so präsentiert sich aus der Vogelperspektive der Entwurf der Architektin Zaha Hadid für Roms neues Zentrum der Gegenwartskünste. Ein Centre Pompidou all'italiana, das auf einem ehemaligen Kasernengelände unweit der Altstadt im Stadtteil Flaminio entstehen soll. Schon in vier Jahren sollen die ersten Besucher, gleichsam von der Strömung mitgetragen, durch die langen, schmalen, sich plötzlich zu weiten Räumen öffnenden Korridore wandeln.

Wo die meisten anderen Teilnehmer der Ausschreibung mit geraden Linien und rechten Winkeln operierten, wo sie das L-förmige Gelände mit mächtigen Quadern bebauen wollten, entschied sich Zaha Hadid für eine Lösung, die mit Kurven, Diagonalen und überraschenden Schwüngen operiert. Ihr sinnlich-verspieltes Projekt ist ganz nach dem Geschmack der Barockstadt; soll das neue Zentrum doch zur symbolischen Brücke zwischen der überreichen künstlerischen Vergangenheit und einer endlich wieder lebendigen Zukunft werden; zum Zeichen des Aufbruchs einer Metropole mit vielleicht allzu großer Vergangenheit, die nach langer Lethargie die Künste der Gegenwart wiederentdeckt.

Es scheint geradezu exemplarisch, dass das Zentrum der Gegenwartskünste von der 1950 geborenen Zaha Hadid, Irakerin mit Wahlheimat London, gebaut wird. Der Wille der Kulturpolitik, jahrzehntelangem italienischem Provinzialismus und Stillstand endlich ein Ende zu setzen, wird nun von der Global Playerin mit stetem Minderheitenstatus vollstreckt. Ein kleines Substantiv kündigte die Revolution 1996 an, als Walter Veltroni das gerade von ihm übernommene Ressort für Kulturgüter zum „Ministerium für kulturelle Güter und Aktivitäten“ umtaufte. Von nun an sollte Schluss sein mit einer Kulturpolitik, die sich auf Konservierung des Ererbten beschränkte.

Entsprechend ehrgeizig ist das Projekt des neuen Zentrums der Künste, eines der Lieblingskinder Veltronis und seiner seit 1998 amtierenden Nachfolgerin Giovanna Melandri. Nicht nur architektonisch soll es ein Zeichen des Aufbruchs setzen: Das Zentrum der Gegenwartskünste wird ein „Museum des 21. Jahrhunderts“ für die Werke der bildenden Kunst nach 1968 und ein Architekturmuseum beherbergen, aber auch Flächen für Wechselausstellungen, für Performances, für multimediale Kunst, Ateliers sowie Wohnungen für Gastkünstler, Bibliothek, Archiv und ein interdisziplinär arbeitendes Institut, an dem nicht nur die Kunstwissenschaften, sondern auch Psychologie und Soziologie ihren Platz haben sollen. „Kulturelle Aktivitäten“ – der Namenszusatz bezeichnet den Willen des Ministeriums, den Staat wieder zum Auftraggeber, zum Förderer auch neuer Talente und neuer Kunstformen werden zu lassen.

Große staatliche Aufträge auf dem Feld der Kunst, aber auch der anspruchsvollen Architektur – die Italiener müssen weit zurückdenken, bis zu den Zeiten des Faschismus, wenn sie hierfür Beispiele entdecken wollen. Sandra Pinto, Leiterin der Galerie für moderne Kunst in Rom ebenso wie Projektchefin des zukünftigen Zentrums, bereitet es sichtliches Unbehagen, diese Tatsache auszusprechen. Doch anders als seine demokratischen Nachfolger gab Mussolini den künstlerischen Avantgarden der Zwanziger- und Dreißigerjahre breiten Raum, sein Regime hinterließ nicht nur Protzbauten der Diktatur, sondern auch bedeutende architektonische Werke der Moderne. Nach 1945 flossen die für Kultur aufgebrachten Mittel dagegen in die Instandhaltung alter Monumente, und die öffentliche Aufträge beschränkten sich meist auf Infrastrukturvorhaben oder auf hässliche Zweckbauten. Bezeichnend, dass die Zuständigkeit für jedes staatliche Bauprojekt – egal ob Straße, Brücke oder Museum – beim Ministerium für Öffentliche Arbeiten angesiedelt war, einem Ministerium, das bei der Auftragsvergabe kaum je ästhetischen Erwägungen folgte. So gehört es zum jetzt verheißenen kulturellen Aufbruch Italiens, dass ein neues – schon bei der Ausschreibung des Zentrums der Gegenwartskünste befolgtes – Gesetz öffentliche Bauten in die Obhut des Kulturministers legt.

Ähnlich abwesend zeigte sich der Staat auf dem Feld der bildenden Kunst; die Mittel flossen so spärlich, dass Roms Galleria d'arte moderna nach 1968 kaum noch Bildankäufe tätigen konnte. Das wenige, was in den letzten Jahren angeschafft wurde, soll nun auch im neuen Zentrum Platz finden, während die Galerie für moderne Kunst Bilder und Skulpturen des 19. und des 20. Jahrhunderts bis 1968 ausstellt. „Um einen nahe liegenden Vergleich heranzuziehen, die Galerie wird den Platz des Musée d'Orsay einnehmen, während das Zentrum der Gegenwartskünste unser Centre Pompidou sein wird“, beschreibt Sandra Pinto die künftige Aufgabenteilung.

Centre Pompidou – die Analogie hat natürlich auch einen bitteren Beigeschmack, erinnert sie die Italiener doch nur zu deutlich an die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte: Schließlich war es der italienische Stararchitekt Renzo Piano, der in Paris zum Zuge kam – und der Jahre warten musste, bis er in Rom einen bedeutenden Auftrag erhielt. Jetzt entsteht nur einen Steinwurf vom Zentrum der Gegenwartskünste Renzo Pianos „Auditorium“, das neue, mächtige Konzertgebäude der Stadt. Doch das Auditorium ist nicht allein Zeichen für den Aufbruch Roms – das Gebäude droht auch zum Symbol all der Schwierigkeiten zu werden, auf die der enthusiastisch verheißene Neuanfang stößt. 1994 begannen die Bauarbeiten, 1998 sollte die Eröffnung gefeiert werden – doch im Dickicht der Normen und Gesetze, der Behördenrivalitäten zwischen Kommune, Bauaufsicht und Denkmalschutz kam das Projekt immer wieder zum Erliegen, die Arbeiten auf der Großbaustelle wurden mehrfach über Monate eingestellt; frühestens für das Jahr 2001 ist nun die Fertigstellung zu erwarten.

Dennoch – dass jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Auditorium mit dem Zentrum der Gegenwartskünste ein weiterer ambitionierter Bau in Angriff genommen wird, lässt viele hoffen, die Zeiten städtebaulicher Stagnation seien endgültig vorbei. „Der Architektenwettbewerb für das Zentrum eröffnet eine neue Ära“, meint der römische Architekt Mosè Ricci, der mit seinem Entwurf bis in die Endrunde des Wettbewerbs vordrang. „Noch für Renzo Pianos Auditorium wurde eine bisher unbebaute Fläche ausgewählt. Das Zentrum der Gegenwartskünste dagegen wird auf schon bebautem Terrain errichtet, in einer zentralen Zone der Stadt, einer Zone, in die bisher nicht eingegriffen wurde. Konservierung geht vor Abriss, hieß es bisher, und das galt sogar für Bauten wie die jetzt betroffene Kaserne, die keinen großen architektonischen Wert hat, die aber eben aus dem Jahr 1906 stammt. Das Projekt Zaha Hadids lässt nur zwei kleine Gebäudeteile der Kaserne stehen. Ich bin optimistisch, weil Zaha Hadids Vorhaben keineswegs allein dasteht. In Florenz gewann vor einigen Monaten der japanische Architekt Arata Isozaki den Wettbewerb für die Neugestaltung des Ausgangs der Uffizien. Dort soll jetzt ein enormer Baldachin errichtet werden, genauso hoch wie die umliegenden Gebäude – und auch dort hat man sich nicht von der 'Heiligkeit‘ des Ortes schrecken lassen, obwohl die dortige Piazza bestimmt 'heiliger‘ ist als die Kaserne hier in Rom.“

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