Massaker am Fluss

■ Blutige Kämpfe zwischen Armee und Milizen in Nigerias Ölfördergebiet

Berlin (taz) – Ein Massaker der Armee belastet die ohnehin angespannte Lage in Nigerias Ölfördergebieten. Wie nigerianische Menschenrechtsgruppen berichten, haben Einheimische im Bundesstaat Bayelsa im Nigerflussdelta 100 Todesopfer von Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Angehörigen radikaler Jugendmilizen des Ijaw-Volkes aus Wasserläufen und Sümpfen geborgen. Der Ijaw-Jugendrat erklärte, unter den Leichen seien auch Frauen und Kinder.

Auslöser der Krise war nach Presseberichten die Ermordung von vier Regierungssoldaten am 9. September durch Ijaw-Jugendmilizionäre. Die dafür verantwortlichen sogenannten „Egebesu Boys“ sehen sich als Speerspitze der Revolte von Nigerdelta-Völkern gegen die Ölförderung. Die Ijaws sind die größte Ethnie des Nigerdeltas, und ihre Jugendmilizen haben weite Teile der Ölförderung bereits mehrfach lahmgelegt.

Die Armee reagierte auf den Tod der vier Soldaten mit einem Rachefeldzug in der Provinzhauptstadt Yenagoa. Wie Nigerias Regierungszeitung Daily Times berichtete, errichtete das Militär in der ganzen Stadt Straßensperren und untersuchte alle Männer auf traditionelle Stammesmarkierungen, die sie als Mitglieder der „Egebesu Boys“ ausweisen würde. Wer solche Markierungen hatte, wurde verhaftet. Eine Gruppe von 50 Verhafteten sollte dann vom Militär aus Yenagoa in ein Gefängnis in Ahoada im benachbarten Bundesstaat Rivers gebracht werden. Aber sie kamen nie an. Dem Zeitungsbericht zufolge wurden sie an einem Flusslauf an der Grenze zwischen den beiden Bundesstaaten erschossen.

Der Tod der 50 Jugendlichen hat auch gemäßigte Ijaw-Lokalpolitiker in Yenagoa erzürnt. Sie hatten zuvor mit den Behörden gegen die Milizen zusammengearbeitet. Nun droht eine Ausweitung der immer wieder neu ausbrechenden Aufstände im Nigerdelta.

Menschenrechtsorganisationen in Nigeria warnen jetzt sogar, der Staat plane eine großangelegte Vernichtungskampagne gegen die organisierten Gegner der Ölförderung. Die „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (Mosop) verbreitete letzte Woche einen angeblichen „Operationsbefehl“ der Polizeiführung im Bundesstaat Rivers über „Planung zur Eindämmung von Aktivitäten des Ijaw-Jugendrats und anderer Interessengruppen“, in dem Polizeimaßnahmen gegen eine angeblich bevorstehende Kampagne der Ijaw-Milizen zur völligen Lähmung der Ölförderung namens „Operation Total Shutdown“ aufgelistet werden. Mosop-Sprecher Ledum Mitee sagte, von einer solchen Operation sei nichts bekannt, und warnte vor einem „unterschiedslosen Angriff auf Oppositionsgruppen“.

Die steigenden Opferzahlen könnten die Ijaw-Gruppen jedoch dazu bringen, ihren Kampf auszuweiten. Isaac Osuoka, Sprecher des Ijaw-Jugendrats, erklärte: „Wir werden zu direkten Aktionen zurückkehren mit dem Ziel, alle Ölinstallationen im Ijaw-Land zu schließen. Wir verlangen den Abzug aller Mitarbeiter multinationaler Ölfirmen aus Ijaw-Land, da wir im Licht der staatlichen Provokation ihre Sicherheit nicht mehr garantieren können.“

Dominic Johnson