Von der Fahndungs- auf die Parteiliste

Für die Partei von Wladimir Schirinowski kandidieren bei den Duma-Wahlen mehrere Bewerber, die steckbrieflich gesucht werden. Die Wahlkommission hat die Liste akzeptiert, prüft aber weiter  ■   Aus Moskau Barbara Kerneck

Gestern bestätigte sich, was man in Moskau bereits seit längerem vermutet hatte: Die Kandidatenliste von Wladimir Schirinowskis hurrapatriotischer Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR) für die im Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen erinnert an eine Fahndungsliste von Interpol.

Direkt an zweiter Stelle nach dem Parteiführer steht auf der Liste Anatoli Bykow aus Krasnojarsk, ehemaliger Boxlehrer, heute Aluminium-Magnat und Intimfeind seines heimatlichen Gouverneurs Alexander Lebed. Bykow hält sich zur Zeit in den USA auf, weil er in der Russischen Föderation wegen zweier Morde und des Verdachs der Geldwäsche gesucht wird. Der kürzlich in Griechenland verhaftete prominente Berufskiller Wladimir Tatarenko plauderte dort inzwischen ein wenig aus dem Nähkästchen und nannte Bykow als Auftraggeber von noch weiteren Morden.

Als sechzehnter auf der Liste figuriert Sergej Michailow, in Insiderkreisen „Michas“ genannt. Unter der Anklage, mit Mord und Erpressung die mächtige, sogenannte „Solnzewoer Mafia-Bande zu leiten“, verbrachte er zwei Jahre in Schweizer Untersuchungshaft. Im Dezember 1998 musste ihn das Genfer Gericht freisprechen, weil die Anklage nicht die erwartete Unterstützung von der russischen Staatsanwaltschaft erhielt. Diese hat inzwischen aber selbst Ermittlungen gegen Michas aufgenommen.

Dies sind nur zwei von zahlreichen potentiellen LDPR-Kandidaten mit krimineller Reputation. Die Tageszeitung Kommersant schrieb dazu: „Als konzeptuelles Kunstwerk zeichnet sich die Liste der Schirinowzen durch Vollkommenheit aus. In ihr taucht eine Menge von Referenten heutiger Deputierter auf (und diesen Job assoziiert man bei uns im Zusammenhang mit der Abkürzung LDPR schon mit etwas Kriminellem), ein Gehilfe des Direktors eines Wochenmarktes, zwei Buntmetallsammler, je eine Schwester und ein Bruder von Schirinowski und auch die gemeinen LDPR-Parteimitglieder Puschkin und Chaupin. Und dieses ganze Theater des Absurden hat die Zentrale Wahlkommission gestern frohgemut akzeptiert.“

Anlass für die Veröffentlichung der Liste war gestern tatsächlich ihre Annahme durch die Zentrale Wahlkomission. Dies ist allerdings eine reine Formalität und entscheidet noch nicht über die Chancen der benannten Kandidaten, an den Wahlen auch teilzunehmen, ja durch einen eventuellen Sieg gar die Abgeordnetenimmunität zu erwerben.

Als nächsten Schritt muss die Kommission geheimdienstliche und polizeiliche Auskünfte über die Deputierten in spe einholen. In der russischen Öffentlichkeit werden zur Zeit verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie man der bei Kriminellen beliebten Praxis, sich durch ein Duma-Mandat vor Strafverfolgung zu sichern, entgegenwirken kann. Zum Beispiel schlägt der Wahlblock „Rechte Kraft“, in dem sich viele Altdemokraten zusammengefunden haben, eine Abschaffung der Immunität überhaupt vor. Bisher gilt lediglich das Verschweigen von wichtigen Informationen über die eigene Person als Wahlhinderniss.