: Aitarak-Milizionäre massakrieren und plündern
■ Soldaten der Friedenstruppe entdecken verstümmelte Leichen nahe einem verlassenen Hauptquartier der Milizen. Interfet-Truppe liefert sich Schusswechsel mit den Marodeuren
Dili/Darwin (AFP/dpa)– In Dili ist nach Informationen der Pariser Tageszeitung Libération ein Massengrab entdeckt worden. Wie die Zeitung gestern unter Berufung auf Augenzeugen in der Hauptstadt Osttimors berichtete, befindet sich nahe dem verlassenen Hauptquartier der pro-indonesischen Aitarak-Miliz ein Schacht mit mehreren Dutzend verstümmelten Leichen. Die Milizionäre seien in den vergangenen Nächten regelmäßig ausgeschwärmt, um Befürworter der Unabhängigkeit Osttimors zu massakrieren.
Das verlassene Hauptquartier und das in einem benachbarten Hinterhof liegende Massengrab befinden sich dem Bericht zufolge im Zentrum von Dili hinter einem Touristenhotel. Ein Augenzeuge sagte der Zeitung, er habe australische Soldaten der internationalen Osttimortruppe (Interfet) dorthin geführt, die dort die Aitarak-Mitglieder festnehmen wollten. Die Milizionäre hätten ihr Hauptquartier aber in der Nacht zum Mittwoch verlassen und ihre Beute in einem Lastwagenkonvoi fortgeschafft. Die Soldaten schätzten dem Augenzeugen zufolge die Zahl der Opfer auf mindestens 70.
Ein anderer Augenzeuge sagte, der Schacht mit den Leichen sei sieben Meter tief. Die Milizionäre hätten ihren Opfern Haupt und Glieder abgeschlagen, weil sonst nicht alle Leichen in das Loch hineingepasst hätten. Die Köpfe hätten sie ins Meer geworfen, um alle Spuren zu verwischen.
Drei Tage nach der Landung der Friedenstruppe hat sich die Lage in Dili zugespitzt. Erstmals war die Interfet-Streitmacht in Schusswechsel sowohl mit pro-indonesischen Milizen als auch mit indonesischen Militärs verwickelt. Über Tote oder Verwundete wurde zunächst nichts bekannt. Mehrere Personen wurden festgenommen.
Einer der insgesamt vier Zwischenfälle brach nach Angaben des Fernsehsenders CNN auf dem Gelände eines indonesischen Militärlagers aus. Indonesische Soldaten feuerten vor ihrem Abzug für 15 bis 20 Minuten in die Luft. Die Interfet-Truppe gab Warnschüsse ab. Der Befehlshaber der Friedenstruppe, Peter Cosgrove, hatte erst am Vortag vor einer Offensive der pro-indonesischen Milizen gewarnt. Interfet verfolgt nach seinen Angaben auch Berichte mit Sorge, wonach die Milizen sich in Westtimor zu einem Angriff auf die Friedenstruppe sammeln.
Interfet-Soldaten hatten zuvor eine Gruppe von Milizionären festgenommen und ein Waffenlager beschlagnahmt. Seit Beginn der Operation der Friedenstruppe sind mehr als 3.000 Soldaten in Osttimor stationiert worden.
Die indonesischen Streitkräfte hatten ihren kompletten Rückzug aus Osttimor bis zum Wochenende angekündigt. Augenzeugen berichteten jedoch, dass die Soldaten vor ihrem Rückzug Kasernen und öffentliche Gebäude zerstörten oder in Brand setzten.
Tausende von Flüchtlingen sind am Donnerstag auf der Suche nach Lebensmitteln aus den Bergen in die zerstörte Hauptstadt Dili zurückgekehrt. Dort lief die Verteilung von Hilfsgütern durch die Friedenstruppe jedoch nur schleppend an. Am Vortag hatten hungernde Flüchtlinge in Dili ein Lagerhaus gestürmt. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erhielt von der UNO die Erlaubnis, Personal und Ausrüstung nach Dili einzufliegen. Ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sagte in Dili, die Sicherheitslage lasse eine Versorgung von Flüchtlingen außerhalb der Hauptstadt nicht zu.
Etwa 20 Flüchtlinge sind bisher in der Stadt Dare an Unterernährung gestorben. Das berichtete der Chef der UN-Mission für Osttimor (Unamet), Ian Martin, am Donnerstag in Darwin. Martin schätzt, dass bis zu 37.000 Menschen nach Dare geflohen sind.
In der nordaustralischen Stadt Darwin werden weitere 2.000 Flüchtlinge aus Osttimor erwartet. Das berichtete der amtierende Chief Minister des Northern Territory, dessen Hauptstadt Darwin ist, am Donnerstag. Mike Reed sagte vor Journalisten, ihm sei mitgeteilt worden, dass die Flüchtlinge in den nächsten Tagen eintreffen würden. Nach Darwin waren letzte Woche 2.000 Osttimoresen ausgeflogen worden, die sich auf das UN-Gelände in Dili geflüchtet hatten. Die Hälfte von ihnen sind bereits auf andere Lager in Australien verteilt worden, die gerade von Flüchtlingen aus dem Kosovo verlassen worden waren, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Rund 1.000 Osttimoresen halten sich noch in einer Zeltstadt in Darwin auf, die zu diesem Zweck errichtet worden ist.
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