Moskaus neuer Krieg gegen Tschetschenien

Seit zwei Tagen bombardiert die russische Luftwaffe wieder Ziele in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Die Angriffe sollen so lange fortgesetzt werden, bis alle „Terroristen“ vernichtet sind  ■   Aus Moskau Barbara Kerneck

Eine dreijährige Pause im Krieg Russlands gegen Tschetschenien ist zu Ende. Bereits am Donnerstag hatte die russische Luftwaffe den Flughafen Scheich Mansur und die nördlichen Vororte der tschetschenischen Hauptstadt Grosny bombardiert. Gestern setzte man die Luftangriffe fort. Der Schlag gegen den Flughafen hatte die Radarstation getroffen. Auch eine Erdölraffinerie und ein Autobahnabschnitt wurden zerstört.

Gestern fielen bis zur Mittagszeit Bomben in verschiedenen Grosnyer Bezirken, unter anderem in der Nähe des Wohnhauses des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow. Andere Schläge galten der Grosnyer Ölraffinerie, einer erdölverarbeitenden Fabrik und dem ehemaligen Hauptquartier der russischen Armee. Raketen explodierten nahe des tschetschenischen Rundfunk- und Fernsehgebäudes. Nach Zeugenaussagen wurden bei den Angriffen bis zu 14 Personen getötet.

Russlands Premier Wladimir Putin berichtete unterdessen, seine Sicherheitsdienste wüssten von häufigen Besuchen des international gesuchten Terroristen Ben Laden in Tschetschenien. Putin erklärte, man werde Tschetschenien großflächig bombardieren, „bis alle Terroristen vernichtet sind“. Während eines Besuches in Kasachstan nährte er gestern die Illusion, die föderierten Luftschläge träfen nur Terroristen, sogar dann, wenn sie die Toilette besuchten. „Dann machen wir sie eben auf dem Abort kalt“, versprach er.

Schon während der letzten Wochen hatten die Luftstreitkräfte der Russischen Föderation Ziele in den Bergregionen Tschetscheniens bombardiert – in denen sie Ausbildungslager der in Dagestan operierenden Islamisten vermuteten. Diese Schläge trafen aber vor allem die Zivilbevölkerung, weil die Kämpfer ihre Standorte permanent wechseln. Jetzt wenden sich die Angriffe offenbar gegen die gesamte Infrastruktur des Landes. „Solche Schläge können nicht mit militärischen Argumenten gerechtfetigt werden“, erklärte dazu der russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow: „Die Freischärler halten sich in Siedlungen auf, in denen ihnen die Zivilbevölkerung als lebender Schild dient. Die Kämpfer können deren Tod in Kauf nehmen, antiterroristische Maßnahmen können das nicht.“

Nachdem die jüngsten Terroranschläge in verschiedenen russischen Großstädten aber von der öffentlichen Meinung den Tschetschenen zugeschrieben werden, kann Kowaljow wenig Zustimmung erhoffen. Nur 36 Prozent der russischen Bevölkerung waren letzte Woche gegen ein solches Bombardement, 49 Prozent begrüßten sie. Schnell haben sie dabei die Greuel vergessen, die Russland selbst der tschetschenischen Bevölkerung antat. „Diese Leute schauten damals nicht in die Zukunft“, sagt Anatoli Kulikow, während des Tschetschenien-Krieges russischer Innenminister, über Kowaljow und dessen Gesinnungsgenossen: „Die Menschenrechtler dachten damals nicht daran, wohin ihre Aktivität führt, dass sie uns noch viel mehr Blutvergießen bringen würde.“