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Neue Jobs? Wer weiß!

■ Die Arbeitsmarkteffekte der Liberalisierung sind kaum abzusehen

Jahrzehntelang war man der Meinung, bestimmte Dienstleistungen könne nur der Staat gewährleisten. Man denke nur an unrentable Bahnstrecken oder Telefonleitungen in entlegene Bergdörfer. Rentabel oder nicht, der Staat war verpflichtet, seinen Bürgern eine Standardversorgung mit Strom, Wasser, Telefonanschluss und Müllabfuhr zu gewährleisten. Anders ausgedrückt: Nur der Staat dufte bis vor kurzem Strom und Telekommunikation anbieten. Er hatte ein Monopol.

Seit den 80er Jahren vertreten immer weniger Wirtschaftswissenschaftler und Politiker diese Ansicht. Der Staat, so heißt es jetzt, hat einen Beamtenapparat hervorgerufen, der sich durch fehlende Effizienz und eine geradezu feindliche Haltung gegenüber Innovationen auszeichnet. Das gehe zu Lasten der Kunden. Wobei die Kunden in den seltensten Fällen überhaupt als solche empfunden wurden. „Teilnehmer“ hießen sie früher bei der Post, und behandelt wurden sie gelegentlich, als wären sie Plagegeister.

Je weiter jedoch der Pegel in den Staatskassen sank, desto lauter wurden die Rufe, der Staat solle sich von der „Bürde der Versorgung der Angestellten im öffentlichen Dienst“ befreien. Und die Dienstleistungen privaten Anbietern übertragen. Dann, so wurde argumentiert, dürfe sich der Kunde freuen: Mehr Service zu niedrigeren Preisen! Schließlich muss ein privater Unternehmer dafür sorgen, dass er schwarze Zahlen schreibt. Da er aber nicht mehr als Monopolist alleine auf dem Markt steht, sondern plötzlich der Billigste unter mehreren Konkurrenten sein muss, heißt es als erstes: abspecken. Und zwar bei den Angestellten.

Die Liberalisierung des Strommarkts hat bislang rund 40.000 Arbeitsplätze gekostet, noch einmal so viele sind gefährdet. Das ist die vorläufige Bilanz. Dem steht eine erhöhte Nachfrage nach 15.000 bis 20.000 Fachkräften entgegen, qualifiziert im Controlling oder in der Entwicklung neuer marktwirtschaftlicher Konzepte. Unterm Strich könnten bis zu 60.000 verlorene Arbeitsplätze stehen.

Für die These, dass allerdings langfristig Arbeitsplätze geschaffen werden, sprechen zwei Argumente. Erstens: Mit der Liberalisierung sinken die Preise, Kaufkraft wird freigesetzt. Das schafft einerseits bei den Unternehmen Kapazitäten für Investitionen und neue Arbeitsplätze. Andererseits haben die Verbraucher mehr Geld in der Tasche und können mehr für andere Dinge als Strom ausgeben. Das regt die Produktion an und führt auf diesem Wege auch zu neuen Jobs.

Zweitens: Ein freier Markt lässt auch mehr Platz für Innovationen. Es können beispielsweise neue Berufe entstehen, oder Unternehmen gegründet werden. Allerdings: Die Chance, dass darüber hinaus neue Arbeitsplätze vor allem im Dienstleistungssektor entstehen, ist umso höher, je niedriger die Löhne und die Lohnnebenkosten sind. Ein Land wie die Bundesrepublik mit vergleichsweise hohem Arbeitnehmerschutz ist da wenig „flexibel“, wie die Wirtschaftsverbände ja auch immer wieder kritisieren. Arbeit ist teuer, Arbeitgeber versuchen zu sparen.

Aber: Zu welchen Bedingungen soll Arbeit überhaupt geschaffen werden? Wenn Märkte liberalisiert werden, geschieht das zumindest im Dienstleistungssektor zum Nachteil der Arbeitnehmer: Arbeitsplätze sind wenig sicher und schlechter bezahlt als vorher. Das aus den USA bekannte Phänomen des „working poor“ ist eine mögliche Konsequenz von Liberalisierungen. Katharina Koufen

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