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Hast du Troll gemacht!

■ Die großen Deutschen (3): Wolfgang Hohlbeins sozialer Realismus

Es gibt Menschen, die kennen eben keine Langeweile. Irgendwo wird schließlich gerade ein Gnom oder zehnäugiger Parallelwelt-Potentat herumlaufen, der ein en in ein stundenlanges Rollenspiel verwickelt. Würfel haben plötzlich x Seiten, Waffenarsenale sind fast greifbar nahe, Karl-Heinz wird Magier mit 18 Charisma-Punkten, Rüdiger guckt zu, damit er nächstes Mal endlich mitspielen kann, und Wolfgang bannt die medievalen Aliens auf handliche Papyrusse.

Wolfgang Hohlbein hat seinen Hobbit zum Beruf gemacht. Er werde sich dann mal trollen, sagt er gerne in einem Scherz, aus dem schnell gedruckter Ernst werden kann. Hohlbeins Geschichte(n) ist/sind eine/solche der Superlative. Er erfand das deutsche Fantasy-Genre an Hand seiner eigenen Fantasie alt. Der Reihentitel „Der Hexer von Salem“ stellt auf dem Buchmarkt wohl die einzig würdige Entsprechung zum Tiefkühlkostlabel „Gemüse plus“ dar. Geschichte ist langsam, aber niemals namenlos. Und eine gesunde Schild-und-Schwert-Drüsen-Überfunktion kann leicht zu einer beruhigenden Produktionsneurose führen.

Das stolze Ross des Erzählers scheut auch nicht vor aktuellen Begebenheiten. In Wolfgang und Heike Hohlbeins „Die Bedrohung“ kommt es zu offener Feindschaft zwischen Elben und Menschen; das Oderhochwasser steckte uns allen damals wohl noch in den Knochen. Schade, dass das Buch nicht nur zwei Seiten hat, denn das wäre die Hälfte von vier, und vier ist die Quersumme von – dem Hohlbein-Connaisseur läuft ein „steinerner Wolf“ (W.H.) über den Rücken – dreizehn.

Das könnte kein Zufall sein, denn in „Dreizehn“, dem Zahlen diskriminierenden Erfolgsbackstein des Fantastillionärs, wird der von Haus aus harmlosen Nachbarin der Zwölf allerhand zugemutet. „Die Dreizehn war sozusagen Thirteens Zahl; eine Zahl, die nicht nur immer wieder in Thirteens Leben auftauchte, sondern es sozusagen beherrschte.“ Geburtstag am 13. Um 13 Uhr 13 und 13 Sekunden, Mutter lag im Zimmer 13, alles mit 13. „Irgendwann hatte ihr Vater angefangen, sie Thirteen zu nennen“, denn sie wohnte nicht hier und verstand es so besser. Der Stilfürst, immer gewillt, millisekundenlang nach dem einen, dem genau richtigen Wort zu suchen, wird nicht immer diesseits des Leserhorizonts fündig: „ ,Was gibt's zum Frühstück?‘, fragte er ironisch.“ Ironie taucht eben auf, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Hohlbeins Universum ist reine Mathematik. Schlüsselworte kehren in Buchtiteln bis zu dreimal wieder und verschwinden dann im aufzeichnungstechnischen Nirwana seines Diktiergeräts. Es finden sich „Die schwarze Festung“, „Das schwarze Schiff“, „Die schwarze Bruderschaft“, aber auch „Dunkel ist die Zukunft“, „Die dunkle Seite des Mondes“, „Dunkel“ und fürderhin „Drachenfeuer“, „Die Nacht des Drachen“, „Die Töchter des Drachens“ sowie „Dino-Land“, „Das tote Land“ und „Unterland“. Aber wer sind „Märchenmonds Erben“? Warum blieb Indiana Jones nicht auf den Osterinseln, wohin Hohlbeins innerer Spielberg ihn umgetopft hatte? Und wann ist „Das Gold von El Dorado“ endlich keine Tautologie mehr?

Merkwürdig ist einzig und allein, dass Hohlbeins Schreibfluss eine Unzahl solcher Fragen, aber kaum je eine dazu passende Antwort zaghaft aufwirft. Rastlos irrt man an zottigen Grizzlys und ihren nicht minder „zottigen Schatten“ oder an Legionen übelmeinender Grottenolme von nebenan vorbei, ohne auf die Schlusspointe zu stoßen. Aber wenn man sich einmal gewöhnt hat, ist es in Hohlbeins Phantasialand recht behaglich, zumal auf Abbildungen weitestgehend verzichtet wird. Jedoch: „Das Grauen wird nicht weniger, wenn man weiß, dass man es sich bloß einbildet.“

Daniel Hermsdorf, Benjamin Heßler

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