: Jospin schwenkt leicht nach links
Französischer Premier kündigt Maßnahmen gegen Massenentlassungen und unsichere Arbeitsverhältnisse an. Lob bei Sozialisten und Grünen. Die konservative Opposition wittert ein Wahlmanöver ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Heutzutage könne die Wirtschaft nicht mehr vom Staat reguliert werden, hatte Premierminister Lionel Jospin erst vor zwei Wochen verkündet und damit bei der rot-rosa-grünen Regierung und in der französischen Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nun korrigierte er seinen Kurs wieder nach links. In einer programmatischen Rede vor den ParlamentarierInnen seiner Sozialistischen Partei kündigte er am Montag Abend in Straßburg Maßnahmen gegen Massenentlassungen und gegen den Missbrauch von ungeschützten, ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen an. „Die Globalisierung“, sagte Jospin dieses Mal, „macht den Staat nicht machtlos.“
Im Einzelnen will Jospin verhindern, dass der Staat Massenentlassungen indirekt – etwa durch Frühverrentungen im Rahmen von „Sozialplänen“ – mitfinanziert. Außerdem sollen Unternehmen, die Massenentlassungen planen, künftig verpflichtet werden, vorher zumindest über die Einführung der 35-Stunden-Woche zu verhandeln. Als Schritt gegen die immer zahlreicheren zeitlich befristeten und minimal entlohnten „prekären Beschäftigungsverhältnisse“ fordert Jospin die Sozialpartner auf, Missbrauch treibende Unternehmen mit höheren Arbeitgeberabgaben zu belasten.
Die Kurskorrektur erfolgte in der Halbzeit von Jospins Amtsperiode als Premierminister und zweieinhalb Jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Jospin voraussichtlich als Herausforderer gegen Jacques Chirac antreten wird. Bei SozialistInnen und Grünen sorgte sie für Erleichterung und Lob. Der Kommunistischen Partei, ohne deren 36 Abgeordnete die Regierung keine parlamentarische Mehrheit hätte, erscheinen die Vorschläge als „Schritt in die richtige Richtung“, jedoch gehen sie ihr nicht weit genug.
Die Pläne des Reifenherstellers Michelin, trotz eines Rekordgewinns 7.500 Arbeitsplätze zu vernichten, dürften Jospins Kurskorrektur beschleunigt haben. Die Michelin-Beschäftigten wollen nun „erst einmal die konkrete Umsetzung sehen“, bevor sie Jospins Vorschläge loben. Konservative Oppositionelle halten das Ganze für ein „durchsichtiges Wahlmanöver“. Und die ArbeitgeberInnen verstehen es wie üblich als Versuch, „die Unternehmer aus Frankreich zu vertreiben“. Allerdings wiesen die Wirtschaftszeitungen gestern bereits darauf hin, dass die von Jospin angestrebten Maßnahmen nur in Ausnahmefällen greifen werden: Sie betreffen fast ausschließlich die Minderheit der Betriebe mit über 50 Beschäftigten und bestehen vor allem in der Aufforderung an die Sozialpartner, zu verhandeln.
Die KPF, die meisten Gewerkschaften und zahlreiche linke Organisationen halten auch nach Jospins Auftritt an ihrem für den 16. Oktober geplanten nationalen Aktionstag gegen Massenentlassungen und für ein staatliches Verbot von Entlassungen fest. Der Parteichef der PS, François Hollande, hingegen erklärte gestern bereits, er sehe jetzt „keinerlei Anlass“ mehr, an dieser Demonstration teilzunehmen.
Auch einer zweiten Gefahr für seine Politik hat Jospin am Montag den Wind aus den Segeln genommen: Die Debatte über das zweite Gesetz zur Einführung der 35-Stunden-Woche, die in wenigen Tagen beginnen soll, dürfte nun harmonischer verlaufen. Zumindest die Kritik an der Deregulierung des Arbeitsmarktes wird nun zurückhaltender ausfallen.
Jospins Rede vom Montag hatte den Charakter einer zweiten Regierungsansprache, was sich unter anderem durch seine für französische Verhältnisse ausgesprochen lange Amtszeit – von inzwischen über 27 Monaten – rechtfertigt. Zahlreiche Vorschläge in Jospins geändertem Kurs sind in Wirklichkeit wiederbelebte Versprechen aus der Wahlkampfzeit im Frühsommer 1997 – dazu gehört vor allem die negative Sanktionierung von Entlassungen und von „prekären Arbeitsverhältnissen“.
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