: Einmal im Monat Erinnern erwünscht
■ Zur Eröffnung der Dokumentationsstätte Ostertorwache waren Redebeiträge von NS-Überlebenden nicht erwünscht / Nicht die einzige Peinlichkeit der Veranstaltung: Eine Polemik
Nun gibt es sie also offiziell, die lange umstrittene „Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache“. In fünf verbliebenen Zellen im rechten Trakt des klassizistischen Gebäudes erinnert Bremen mit Schautafeln und Faltblättern an die Geschichte der Wache, die heute Wilhelm Wagenfeld Haus heißt, jetzt das Design-Zentrum beherbergt und zuvor 170 Jahre lang als Gefängnis diente.
Jahrelang haben Angehörige und Überlebende erbittert darum gekämpft, aus der Ostertorwache keinen Ort für edle Möbel und schickes Essgeschirr zu machen, sondern eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus – der Gestapo diente das Haus im 3. Reich als Kerker und Folterstätte. Entschieden wurde anders. Und so kam es, dass der Senator für Kultur und Inneres Bernt Schulte (CDU) zur Eröffnung eine Rede hielt, in der er gerade eben noch von der Schönheit des Designs schwärmte und einen Atemzug später bereits über das unermessliche Grauen sprach, das die Nazis ihren Opfern angetan haben.
Damit nicht genug. Neben Dagmar Hilbert vom Design Zentrum, die die anderweitig beschäftigten Wagenfeld-Haus- und Design-Zentrum-LeiterInnen Beate Manske und Klaus Berthold vertrat, kam nur noch Staatsarchivleiter Hartmut Müller zu Wort. NS-Opfer, die in dem Kerker gesessen hatten, durften ausdrücklich nicht sprechen. Man wollte, so Schulte, die 170-jährige Geschichte der Wache nicht auf zwölf dunkle Jahre reduzieren und habe deshalb auf einen solchen Redebeitrag verzichtet.
Eine abenteuerliche Begründung. Nur weil ehemalige Gefangene wie Gesche Gottfried oder Marie Mindermann dem Senator nicht den Gefallen taten, aus ihren Gräbern aufzuerstehen, durften zur Strafe auch jene wenigen Zeitzeugen nicht reden, die die Geschichte der Ostertorwache noch aus eigenem Erleben kennen. Und war es dem Anlass etwa angemessener, Dagmar Hilbert minutenlang über tolle Designer-Workshops und die imagefördernde Bedeutung des Design-Zentrums schwärmen zu lassen?
Obwohl schon jetzt viele Besichtigungsanfragen ans Staatsarchiv gerichtet werden, wird die Dokumentationsstätte nur einmal im Monat für sechs Stunden geöffnet. Mehr, so Hartmut Müller, könne die Stadt nicht finanzieren. Das ist natürlich Unsinn: Mehr ist der Stadt die Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit schlicht nicht wert. Das ist keine Frage der Kassenlage, sondern des politischen Willens.
Dazu passt, dass die konzeptionell durchaus gelungene Ausstellung in den fünf Zellen kaum verdient, Dokumentation genannt zu werden. 170 Jahre Geschichte lassen sich eben nicht auf einigen Schautafeln und fünf Faltblättern auch nur annährend angemessen erinnern. Dazu passt, dass die Eröffnung instinktlos parallel zu einer Ausstellung im Design-Zentrum stattfand, in der ein bekennender Bewunderer der Ästhetik des Nazi-Architekten Albert Speer seine Edelmöbel präsentiert. Und dazu passt schließlich auch, dass Bernt Schulte die unhaltbaren Zustände in der Ostertorwache beklagte, als es als Abschiebegefängnis genutzt wurde. Und dabei unterschlug, dass der neue Abschiebeknast, für den er verantwortlich ist, alles andere als vorbildlich eingerichtet ist.
In Zukunft, kündigte Dagmar Hilbert an, werde man mit der Dokumentationsstätte sicherlich mal was zusammen machen. Ach, besser nicht. Es reicht schon so.
Franco Zotta
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