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Bomben statt Gespräche

■  Treffen der Staatschefs von Tschetschenien und Dagestan scheitert. Vorbereitungen für Bodentruppen-Einsatz in Tschetschenien dauern an. Luftwaffe bombardiert Grosny erneut

Moskau (dpa/AP) – Nach einer Woche massiver Bombenangriffe auf Tschetschenien ist ein erster indirekter Gesprächsversuch der russischen Regierung mit der Führung der abtrünnigen Kaukasusrepublik gescheitert. Aufgebrachte Einwohner der Nachbarrepublik Dagestan hätten die Fahrzeugkolonne des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow nicht zu einem Treffen mit dem dagestanischen Republikschef Magomed Magomedow in der Stadt Chassawjurt durchgelassen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Magomedow sollte im Auftrag des russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin mit Maschadow sprechen.

Zugleich verdichteten sich gestern Anzeichen für einen möglichen Einmarsch russischer Truppen. Die Vorbereitung eines Bodentruppen-Einsatzes sei in die „entscheidende Phase getreten“, zitierte Interfax aus Kreisen im Verteidigungsministerium. Die Stationierung der Kampftruppen im Nordkaukasus, die in Tschetschenien eingesetzt werden sollen, sei „praktisch abgeschlossen“. An der Grenze zwischen Tschetschenien und Dagestan seien etwa 20.000 Soldaten zusammengezogen worden. „Aber niemand wird versuchen, Grosny einzunehmen“, sagte ein Militär.

Verteidigungsminister Igor Sergejew informierte Präsident Boris Jelzin nach einem Zeitungsbericht über den Plan für den Einmarsch. Demnach sollen russische Einheiten bis Ende November drei Viertel des tschetschenischen Territoriums unter ihre Kontrolle bringen und die schwer zugängliche Bergregion abriegeln, schrieb die russische Zeitung Sewodnja gestern. In einer zweiten Phase solle eine Regierung aus gemäßigten Kräften der tschetschenischen Elite gebildet werden. Islamische Extremisten wie der Feldkommandeur Schamil Bassajew und der Jordanier Chatab sollten in die Berge abgedrängt und dort in „Spezialoperationen“ vernichtet werden.

Unterdessen bombardierten Kampfjets gestern erneut vermutete Stützpunkte muslimischer Extremisten in Tschetschenien und der Hauptstadt Grosny. Sie hätten Angriffe auf Fabriken und Öllager geflogen, meldete Interfax. Mehrere Ortschaften in den Bergen seien mit Artillerie beschossen worden.

Die tschetschenische Regierung erklärte, 300 Zivilisten seien bei den Luftangriffen auf Schulen und Wohnhäuser ums Leben gekommen. Etwa 60.000 Bewohner der Republik flohen in das benachbarte Inguschetien, 2.000 weitere in die östlich gelegene Nachbarrepublik Dagestan. Die UN teilten gestern mit, sie warteten auf die Zustimmung Russlands, um den aus Tschetschenien geflohenen Menschen helfen zu können. Die offizielle russische Hilfsagentur Emercom verweigere dies bisher.

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