piwik no script img

Soundclash der Geschlechter

■ Reggae-Musical: Julian Henriques' „Babymother“ beim Filmfest

Es soll Menschen geben, die es nicht mögen, wenn Kinofiguren plötzlich anfangen zu singen oder zu tanzen. Dabei sind Musicals eine ganz famose Sache. Andernfalls muss man schon ziemlich kaltherzig sein, und von Eskapismus sprechen sowieso nur die Gefängniswärter des Realitätsprinzips.

Für das britische Kino – insbesondere das junge black British cinema – stellt die kleine Channel Four-Produktion Babymother fast eine Sensation dar. Nicht, weil darin getanzt und gesungen wird, sondern weil es der erste Film ist, der ohne eine noch so kleine weiße Hauptrolle auskommt – als ausgesprochener „Frauenfilm“. Aus dieser doppelt marginalisierten Position heraus ein so unpopuläres Genre zu wählen, dazu gehört Mut. Angekündigt ist Babymother als Reggae-Musical, aber das stimmt nur zur Hälfte. Genauso souverän wie in der Dancehall bewegt sich das Spielfilmdebüt des ehemaligen Dokumentarfilmers Julian Henriques nämlich im sozialrealistischen Ken-Loach-Territorium. Von den mit seinen Laiendarstellern grandios choreografierten, anti-naturalistischen „Nummern“ abgesehen, hat Babymother fast den Look einer Fernsehfilms. Doch das soll nicht stören – man denke nur an Isaac Julians wundervollen Young Soul Rebels, mit dem Babymother zudem die Koordinaten Musik und Sexualität teilt. Das primär anvisierte Publikum, karibische Migranten in Großbritannien, dürfte das freilich kaum verblüffen, ist doch die Dancehall-Reggae-Kultur eines der Terrains schlechthin, auf dem Geschlechterverhältnisse offensiv und explizit verhandelt werden.

Statt Soul und Homosexualität, die sich Julian auf die Banner schrieb, stehen bei Henriques Raggamuffin und Girl Power auf dem Programm. Babymother erzählt die Geschichte von Anita (Anjela Lauren Smith), einer jungen schwarzen Frau, die zwei Kinder vom streunenden Reggae-Sänger Byron (Wil Johnson) hat. Sie ist mehr oder weniger auf sich allein gestellt, denn Familien sind in der Welt der Sozialwohnungen von Harlesden Krypto-Matriarchate des Überlebens. Mit zwei Freundinnen gründet Anita ein Gesangs-Trio, beschließt: „No more sleeping with the enemy“ – und setzt sich zum Ziel, ihren (Ex-)Lover ein einziges Mal von der Bühne zu fegen und aus dem Soundclash der Geschlechter als Champion hervorzugehen. Natürlich ist auch diese musikalische Emanzipationsgeschichte letztlich wieder auf Männer bezogen. Selten aber wurde dieser Kampf in und trotz aller Widersprüchlichkeit so bejaht. Tobias Nagl

„Babymother“, heute, 22.30 Uhr, CinemaxX 8, morgen, 17 Uhr, Zeise 1

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen