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„Es hilft, nicht zynisch zu werden“

Hamburger Obdachlosenzeitung Hinz & Kunzt wird dicker und bunter  ■ Von Heike Dierbach

Durch die engen Redaktionsräume von Hinz & Kunzt in der Curienstrasse wehten Aufbruchstimmung und Nostalgie zugleich: Die Obdachlosenzeitung bekommt ein neues Konzept, und dessen Vorstellung war gestern die letzte Amtshandlung von Herausgeber Stephan Reimers. Der bisherige Chef der Hamburger Diakonie verlässt Hamburg, um Bevollmächtigter der Evangelischen Kirche in Berlin zu werden.

Nichtsdestotrotz spricht Reimers, wenn es um die Zukunft seines Kindes Hinz &Kunzt geht, weiterhin von „wir“. Das Kind soll sich künftig stärker an den Wünschen der LeserInnen orientieren – „wie das jede Zeitung tun muss“, so Chefredakteurin Birgit Müller. Was die Leser wollen, hat Hinz & Kunzt in zwei Studien der Universität Hamburg und der Bundeswehruni herausfinden lassen: Mehr Verbraucher-, Öko-, und Schnäppchentipps, dazu einen dickeren, aber geordneten Kulturteil. Neu ist auch eine große Fotoreportage in jedem Heft, das zudem ab sofort 48 Seiten und mehr Farbe hat.

Das Relaunch war notwendig, weil die durchschnittliche Auflage der größten deutschen Obdachlosenzeitung in den vergangenen anderthalb Jahren von 100.000 auf 70.000 Exemplare gesunken ist. Damit kann Hinz & Kunzt nur noch rund 50 Prozent seiner Kosten erwirtschaften – früher waren es 75 Prozent. Der Rest wird über Spenden gedeckt. Von Stadt oder Kirche bekommt das Projekt keine Zuschüsse. Als Grund für den Auflagenrückgang vermutet Müller die Konkurrenz durch die neuen kostenlosen Tageszeitungen: „Die 15-Uhr-Verkäufer stehen oft direkt neben unseren“. Und natürlich sei nach sechs Jahren auch der Neuheitseffekt der Zeitung verblasst.

Anders als bei anderen Zeitungen hat das Projekt auch damit zu kämpfen, dass schlechte Auflagenzahlen die VerkäuferInnen demotivieren. Diese investieren dann weniger Zeit in den Verkauf, so dass die Auflage noch weiter sinkt. Um diese Entwicklung zu stoppen, hat Hinz & Kunzt ausnahmesweise eigenes Geld in das Relaunch investiert, unter anderem für eine Medienberatung. Die Agentur Kolle Rebbe entwarf kostenlos Werbeplakate, die das modernisierte Produkt „kommunizieren“ sollen: „Guter Journalismus für einen guten Zweck“. Bis Mai 2000 soll das neue Konzept getestet werden.

„Für unser Selbstverständnis ist es wichtig, dass die Zeitung auch gelesen wird“, betonte Reimers. Es sei für die Verkäufer nämlich auch demotivierend, wenn Kunden zwar bezahlen, aber keine Zeitung mitnehmen wollen. Projekte wie Hinz &Kunzt, resümierte Reimers gestern seine siebenjährige Amtszeit, ermöglichten es den Menschen, andere Lebenswelten in ihrer Stadt wahrzunehmen. Und auch, „nicht zynisch zu werden“ angesichts der „gesamtgesellschaftlichen Immobilität“ der vergangenen Jahre. Unter rot-grün, so Reimers Bilanz, hätten sich die Chancen für Randgruppen allerdings verbessert, und „wir werden in unserer Arbeit weniger behelligt“.

Fast einen Aktenordner voller Abschiedsbriefe hat der Diakoniechef in den letzten Wochen bekommen. Und sein Ruf eilt ihm voran in die Hauptstadt: Das Berliner Spendenparlament hat schon angefragt, ob Reimers nicht Mitglied werden wolle? Er will.

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