piwik no script img

Alles noch mal von vorn – gegen Bezahlung

Heute geht Kirchs Pay-TV-Sender Premiere World an den Start. Doch was ist neu daran?    ■ Von Jürgen Bischoff

Man sollte meinen, Leo Kirch und die Seinen erfinden das Fernsehen neu. Ab heute, so wirbt Premiere World, der aus Premiere und DF1 verschmolzene digitale Pay-TV-Monopolist, „wird alles anders“, denn „95 % der Bundesbürger hatten im Leben nie eine Wahl“. Diese 95 Prozent, so die Werbung, „sehen fern, weil nichts Besseres im Fernsehen kommt“ .

Zumindest die in den alten Bundesländern hatten wirklich keine Wahl. Sie wuchsen auf mit „Lassie“ und „Fred Feuerstein“. Zur feiertäglichen Erbauung wurde ihnen alle Jubeljahre DeMilles „Die 10 Gebote“ vorgeführt. Sie ergötzten sich an „Cat Ballou“ und Bud Spencers „Plattfuß“-Filmen, später kamen „Alien 3“, „Crocodile Dundee“, „Baywatch“. Soweit ein kleiner Ausschnitt aus der ersten Programmwoche von Premiere World. Alles schon mal irgendwo gesehen. Und jetzt noch mal von vorne – gegen Bezahlung.

Fünf Prozent der Bundesbürger sehen Pay-TV, weil nichts Besseres im Fernsehen kommt. Das bisschen an neuen Filmen, die man sich nicht auf Video geleistet hat und auf deren Ausstrahlung im Free-TV man nicht warten will, ist dieser Fünf-Prozent-Quote schon den Gegenwert von zwei Pullen Asbach Uralt wert. Oder sind es die stundenlangen Live-Übertragungen von den Golfcourts dieser Welt oder die Zelebration des kryptischen Regelwerks der American Football League.

Nein, vielversprechend klingt das nicht, was Leo Kirch seinen potentiellen Kunden für 20 bis 50 Mark pro Monat (zuzüglich Decodermiete und Sondertarife für Pornos oder Anglerlatein) anbietet.

Die Situation für Pay-TV in Deutschland ist denkbar schlecht. Hier werden pro Jahr drei- bis viermal so viel Spielfilme im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt wie in den anderen europäischen Ländern. Deshalb dümpelt Premiere seit Jahren bei 1,7 Millionen Kunden herum, von denen nach und nach 500.000 ihren analogen gegen einen digitalen Decoder eingetauscht haben. Die letzten Zahlen für DF 1 lagen bei 400.000 Abonnenten – die sollten ursprünglich schon im Jahr 1997 erreicht werden.

Doch die Gründe für das Zeitlupenwachstum waren vielschichtiger. Werfen wir einen Blick zurück: Im Juni 1991, kurz nach Ende des Golfkrieges, wird auf dem TV-Symposium in Montreux erstmals die Machbarkeit des digitalen Fernsehens präsentiert. Know-how aus kriegsrelevanten amerikanischen Labors durfte erstmals kommerziell genutzt werden. Innerhalb von nur zweieinhalb Jahren entwickelt ein paneuropäisches Forschungsprojekt die technischen Grundlagen für ein digitales Fernsehsystem namens DVB. Eigentlich soll es damit in die strahlende Zukunft des hochauflösenden Fernsehens gehen, doch die Privatsender wollen die Möglichkeiten der Digitaltechnik lieber für die Ausweitung der Programme nutzen.

Fernsehanstalten, Geräteindustrie und die Telekom sind sich noch 1994 einig, dass der deutsche Markt nur in gemeinsamer Anstrengung für die Digitaltechnik gewonnen werden kann. Sie gründen die Media Service Gesellschaft (MSG), die Empfangsgeräte (Decoder) preisgünstig unters Volk bringen soll. Die EU-Kommission verbietet das Kartell aus wettbewerbsrechtlichen Gründen.

Leo Kirch verhandelt mit dem finnischen Gerätehersteller Nokia über die Entwicklung eines Decoders nach Vorgaben seiner Techniker. Die „d-box“ wird 1995 geboren. Zur gleichen Zeit versucht ein breiteres Konsortium erneut – diesmal unter dem Titel „Multimedia-Betriebsgesellschaft“ (MMBG) – einen einheitlichen Vertriebspool für das digitale Fernsehen aufzubauen. Kirch beteiligt sich halbherzig, in der Hoffnung, seine „d-box“ als Standardgerät durchzusetzen. Er zieht den kürzeren, setzt mit der Bestellung von einer Million Decodern bei Nokia auf Alleingang und startet im Juni 1996 DF 1. Seine ersten Abos kann er für etwa ein Jahr nur an Satellitenhaushalte loswerden, weil die Telekom die Durchleitung des digitalen Signals durch die Kabelnetze blockiert.

Der Streit der Beteiligten, die sich immer wieder in neuen kurzfristigen Allianzen zusammenfinden, verwirrt die Öffentlichkeit. Hängen bleibt lediglich: Digital-Fernsehen ist teures Pay-TV.

Kirch hat sich mittlerweile durch den wahllosen Aufkauf von Film- und Sportrechten für die Zukunft des digitalen Pay-TV extrem verschuldet. Bertelsmann einigt sich schließlich mit dem kleineren Konkurrenten, denn ein kaputter Kirch-Konzern öffnet nur ein Loch für aggressive ausländische Konkurrenz.

Doch die Einigung der Konzerne gefällt Karel van Miert nicht. Er untersagt das BerTelKirch-Kartell Ende Mai '98. Zunächst können sich die Beteiligten über den Fortgang des Geschäftes nicht weiter einigen. Im März '99 dann verzichtet der neue Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff auf die Pay-TV-Aktivitäten und verkauft bis auf 5 Prozent alle Anteile an Kirchs Premiere. Middelhoff sieht die Zukunft des Pay-TV ohnehin schon seit längerem auf der Ebene der Online-Dienste.

Endlich hat Leo Kirch sein Pay-TV-Monopol und darüber hinaus auch noch der Telekom seine Decoder-Plattform als Standard für die deutschen Kabelnetze aufgedrückt. Auch für Kunden, die ohne Pay-TV, nur mit den herkömmlichen Programmangeboten auf die neue digitale Technik umsteigen wollen.

Auf Dauer wird diese Situation nicht zu halten sein. Nationale Alleingänge widersprechen europäischen Grundprinzipien. Und auch die Geräteindustrie hat ein fundamentales Interesse daran, nicht zahllose Sonderbaureihen für jedes einzelne europäische Land herstellen zu müssen. Deshalb arbeitet die DVB-Entwicklungsplattform an einem einheitlichen Standard für ganz Europa. „Multimedia Home Plattform“ (MHP), eine Norm, die in diesen Wochen verabschiedet werden soll, soll die Grundlage der Digital-Decoder ab dem Modelljahrgang 2001 sein. Damit könnte dann endlich auch in Deutschland der Markt für das digitale Fernsehen unabhängig von Kirchs Pay-TV in die Gänge kommen. Schließlich soll nach dem Willen der alten und auch der neuen Bundesregierung schon ab dem Jahr 2008 die analoge Fernsehausstrahlung Zug um Zug eingestellt werden. Kirchs Pay-TV ist dabei eher ein Hemmschuh.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen