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Schwerer Unfall in japanischer Atomfabrik

Strahlenwerte bis zu 10.000-mal erhöht. 19 Menschen verstrahlt, Straßen gesperrt und 150 Menschen evakuiert. Regierung: „Schlimmster Vorfall in der Geschichte des Landes“   ■  Von Maike Rademaker

Berlin (taz) – Bei einem schweren Unfall in der japanischen Atomanlage in Tokaimura ist radioaktive Strahlung ausgetreten. Drei Arbeiter mussten nach bisherigen Angaben der Behörden ins Krankenhaus gebracht werden, und im Umkreis von 350 Metern wurden 150 Menschen evakuiert. Nach Angaben der unabhängigen japanischen Organisation Citizens Nuclear Information Center (CNIC) sind elf weitere Arbeiter verstrahlt sowie fünf Einwohner.

Die drei schwer kranken Arbeiter hätten einen blauen Blitz gesehen und dann Unwohlsein verspürt, sagte ein Sprecher der Betreibergesellschaft JCO der Nachrichtenagentur AP. Die Bevölkerung wurde per Lautsprecher dazu aufgerufen, ihre Häuser nicht zu verlassen und Fenster und Türen zu schließen. Auch in der Nachbarstadt Nakamachi sollen die Einwohner zu Hause bleiben. Die Polizei riegelte außerdem die Straßen im Umfeld von drei Kilometern ab. Unbekannt ist aber, ob Menschen daran gehindert wurden, die Zone zu verlassen. Tokaimura liegt 115 Kilometer östlich von Tokio und ist schon 1997 mit einem schweren Atomunfall in die Schlagzeilen geraten.

Die Strahlendosis des gestrigen Unfalls unmittelbar an dem Leck war 10.000-mal höher als normal, im weiteren Umkreis wurden Werte gemessen, die 3.600-mal höher waren als normal. CNIC meldete, dass die Messungen schwankende Werte ergeben. Das japanische Fernsehen meldete weiterhin hohe Werte. Laut einem Behördensprecher gab es gestern Abend sogar Anzeichen, dass die auslösende Kettenreaktion noch immer anhält. Das Werk kann nicht mehr betreten werden. Erstmals nach einem Nuklearunfall wurde eine Untersuchungskommission bestehend aus hochrangigen Ministern und Premier Obuchi eingesetzt.

Die Ursachen des Unfalls sind noch unbekannt. Greenpeace Japan erhielt Meldungen, wonach der Unfall in der weiträumigen Anlage entweder bei der Vorstufe für die Brennelementeherstellung passiert ist oder aber bei der Verarbeitung der Brennelemente selbst, indem Arbeiter mehr Uran verwendet haben als zulässig. Die japanische Behörde für Wissenschaft und Technologie erklärte, es habe sich um eine atomare Kettenreaktion gehandelt, ähnlich der in Atomreaktoren. Dies würde laut dem Greenpeace-Sprecher Roland Hipp auch den hohen Radioaktivitätsausstoß begründen.

Nach Angaben von CNIC informierte der Betreiber, die Gesellschaft JCO, die Bevölkerung eine Stunde nach dem Unfall, die Menschen wurden nach vier Stunden evakuiert. „Das war viel zu spät“, sagte Gaia Hoerner, zuständig für auswärtige Beziehungen in der Organisation. Bei dem schwersten japanischen Atomunfall im selben Ort vor zwei Jahren in der Wiederaufbereitungsanlage wurden 37 Arbeiter verstrahlt. Durch einen nicht vollständig gelöschten Brand entwich durch geborstene Stahltüren eine radioaktive Wolke. Es wurde niemand evakuiert.

Was tatsächlich passierte und in welchem Maße Strahlung ausgetreten war, gab die Betreibergesellschaft Donen damals erst nach Tagen bekannt. Die Strahlung lag 10-mal höher als zunächst angegeben.

Die CNIC-Sprecherin bezeichnete den jetzigen Unfall als „wesentlich schlimmer“ als den von 1997. Der damalige Unfall und die Verbitterung der betrogenen Menschen hat die Behörden offensichtlich etwas sensibler in der Informationspolitik gegenüber der Bevölkerung gemacht. Japan hat 30 Prozent Atomkraft.

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