„Schmeißt die Lettristen ins Klo!“

■ n Auch irgendwie Teil zweier Jugendbewegungen: Maurice Lemaitres interaktives Filmexperiment „Hat der Film schon angefangen?“ und „Sand 11“ im Metropolis

Avantgarde-Bewegungen haben wir am Ende des 20. Jahrhunderts schon einige kommen und gehen sehen. Mit dem französischen „Lettrismus“, an den sich heute allein Historiker der durch Malcom McLaren wieder zu ehren gekommenen „Situationistischen Internationale“ erinnern, sollte jedoch wieder und noch mal alles anders werden.

Als der rumanänisch Isidore Isou 1945 zwanzigjährig nach Paris kam, blieb so manchem Existenzialisten das Lachen im Rollkragen seines Pullovers stecken. Monomomanisch hatte er sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als „Gott zu werden“, propagierte im Anschluß an Dada eine Poetik der Zersplitterungs des Sinns bis auf den einzelnen, fragmentierten Buchstaben – und ließ mit seinen Anhängern keine skandalträchtige Gelegenheit aus, die etablierten Säulenheiligen des Avantgarde-Kanons mit skurilen Aktionen in den Schmutz zu ziehen.: Eine regelrechte Politik der Schlagzeile entwickelten Isou und seine volltrunkenen Kumpanen.

Auf zeitgenössischen Fotos trug er selbst ein knuddeliges Verbrechergesicht zur Schau, das nicht wenige an Tony Curtis oder den King Elvis Presley erinnerte. Und so vergessen das „kleine Drama“ der Lettristen heute ist, trug es sich dennoch aus auf einem „Terrain, das damals noch keinen Namen hatte...Popkultur“, so Punk-Chronist Greil Marcus. „12 000 000 Jugendliche werden die Straßen erobern, um die lettristische Revolution zu machen“, plakatierte Isou – und forderte in Vorwegnahme Marcuses: „Die Jugend soll nicht länger als Ware dienen, bloß um zum Konsumenten ihres eigenen Elans zu werden.“

An diese noch auf dem Feld der Hochkultur ausgeführte Jugendrevolte erinnert ein im Rahmen des 20. Geburtstags des Metropolis von „Szene“-Redakteur Jörg Schöning zusammengestellter Lettristen-Abend. Maurice Lemaitres Hat der Film schon angefangen? setzt Isous anti-synchrone Ästhetik als poetische und das Publikum zur ständigen Interaktion zwingende Montage unscharfer Aufnahmen, zerkratzer Bilder, spaßiger Filmtricks und Tonexperimente um – und ist alles andere als von trockenem Akademismus geprägt. Situationismus-Experte Roberto Ohrt wird den Film kunstgeschichtlich einführen.

Auf der anschließenden Party spielen unsere Lieblinge vom Egoexpress-Seitenprojekt Sand 11 – elektronisch, soulful, aber der zwingenden Mechanik von Clubmusik auch irgendwie seltsam bohèmistisch-schräg enthoben –, um dann die Decks für BJ Ralf B.'s Deep House freizumachen. Eine herrliche Gelegenheit, den „Elan der Jugend“ eine Nacht lang unnütz zu verschwenden. Tobias Nagl

heute, Metropolis, ab 21.15 Uhr