: Die digitalen Medien verändern uns“
■ Ein Gespräch mit dem Berliner Kulturwissenschaftler Peter Matussek über den Einfluss des Internets auf Lebensweisen, Wahrnehmungen und den Alltag an den Universitäten
taz: Warum flammen bei medialen Revolutionen immer wieder aufgeregte Debatten auf?
Peter Matussek: Aus Angst vor dem Unbekannten. Die führt zu Dämonisierungen. Bei früheren Medienwechseln war das nicht anders. „Bücher machen lahmarschig und kurzsichtig“, so hat Blumenberg die Lesekritik der ersten Stunde einmal zusammengefasst. Verblüffend Ähnliches hört man heute über die Mobilitäts- und Realitätsverluste durch das Verharren am Computer. Und das ist ja nicht nur falsch. Jedes Medium verändert die bisherigen Wahrnehmungs- und Lebensweisen.
Worum geht es jetzt?
Das Internet ist zu einem Teil unseres Alltags geworden. Das ist offensichtlich, und doch begreifen wir die Auswirkungen zu wenig. Weil man bisher, im Bann des Neuen, zu einseitig auf das geheimnisumwitterte Innenleben der Elektronengehirne gestarrt hat. Computer dienen heute nicht mehr nur dem Speichern und Abrufen von Informationen, sondern unterschiedlichen Formen der Interaktion. Das Internet ist ein Erfahrungsraum, in dem sich neue Riten des Alltags ausbilden, mit neuen Erlebnissen von Körperlichkeit, von Identität und Intimität. Wie digitale Medien uns verändern, ist an den Schaltplänen und Algorithmen allein nicht abzulesen. Gerade das Interface, die Benutzeroberflächen berühren mit ihren Simulationsästhetiken unser In-der-Welt-Sein zutiefst. Allerdings erkennen wir die neuen Existenzbedingungen erst, wenn wir ihre Vorgeschichte untersuchen. Die Kulturwissenschaftler sprechen von einer historischen Anthropologie medialer Praktiken.
Gibt es für Dozenten ein Entkommen vor den neuen Medien?
Ja, es gibt ein Leben vor dem Bildschirm. Aber zumindest für die nachwachsende Wissenschaftlergeneration gilt, dass sie ohne Vernetzung aufgeschmissen ist. Im Übrigen lässt sich vom befremdeten Blick eines Distanzierten manches lernen, was der Nahsicht des „Insiders“ entgeht. Was nervt, sind Leute, die mit Unkenntnis kokettieren und sie für den Ausweis ihrer Hochbildung halten.
Wird das Internet die Präsenzuniversitäten bedeutungslos machen?
Im Gegenteil. Es ist eine enorme Ergänzung und Erweiterung von Forschung und Lehre, nicht deren Ersatz. Leider sind manche Investitionsprogramme von der Milchmädchenrechnung inspiriert, man könne Pädagogen einsparen, wenn man PCs anschafft. Es reicht aber nicht, Computer aufzustellen und zu sagen: „Nun lernt mal schön aus dem tollen Internet.“ Ohne Anleitung zum Nachdenken über das eigene Tun reduziert sich Medienkompetenz aufs Knöpfchendrücken. Solange wir den Cyberspace nicht als etwas Gestaltetes und Gestaltbares sehen, bleiben wir Versuchstiere.
In welchem Verhältnis stehen die Anschaffungskosten für Computer zu denen für die Ausbildung der Studenten?
Die Unis haben einen großen Bedarf an sogenannter Rechentechnik, also Equipment zur Produktion und Präsentation mulitmedialer Daten. So benötigen wir dringend mehr Computerarbeitsplätze für studentische Projekte und Big Screens für die Seminarräume. Aber es wäre eine Fehlinvestition, teuren Hightech-Bombast anzuschaffen, wenn dafür an Personal für Vermittlung und Wartung gespart werden muss. Man sollte die Geräte besorgen, die jeweils als „Lo-tech“ gelten und unseren medialen Alltag bestimmen. Darunter verstehe ich allerdings keine schlappen Spielkonsolen, sondern leistungsfähige Multimedia-Maschinen. Addiert man hierzu die entsprechende Reflexionskompetenz, geht die Rechnung auf. Interview: Margarete Steffen
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