Fröhliche Tropen

■ Die Vorschau: Für eine Literatur der Zwischenräume – der Dichter Raoul Schrott bereitet heute in der Stadtwaage Vergnügen

Nein, Raoul Schrott hat die Poesie nicht neu erfunden. Auch, wenn der flüchtige Blick auf einen Buchtitel wie „Die Erfindung der Poesie“, 1995 in Enzensbergers „Anderer Bibliothek“ erschienen, diesen Anspruch nahezulegen scheint. Der Band versammelt Dichtung aus fünftausend Jahren. Mit Nachdichtungen und Kommentaren aus der Feder des Autors/Herausgebers Schrott. Eine Liebeserklärung. Hier lotet Schrott Zwischenräume aus, den Ort der Poesie, wenn man so will. Zwischen Oralität und Schriftlichkeit. Zwischen Werk und Interpretation. Zwischen emotionaler Unmittelbarkeit und poetologischer Arbeit.

Man darf den 1964 geborenen Schrott als eine der interessantesten Figuren im sich wieder schneller drehenden Karussell deutschsprachiger Gegenwartsliteratur bezeichnen. Nicht nur, weil seine Kurzbiographie sich skurril liest: Aufgewachsen in Tunis und Landeck. In Irland bzw. Graz wohnend. Auch sein Werk ist geprägt von Wanderungen und Grenzgängen.

„Tropen“ (1998), für das Raoul Schrott in diesem Jahr mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde, legt eine weitere Etappe auf der Suche nach der Sprache zurück. Wie der Untertitel „Über das Erhabene“ anklingen lässt, geht es um eine poetische Philosophie des Blicks. Es ist wie eine Reise, dieses Buch. Taumelnd, ständig die Richtung wechselnd, bewegt es sich fort, zielstrebig oder ziellos oder beides zugleich. Man verliert das Gedächtnis, bekommt ein fremdes hinzu. Es wechselt Orte und Zeiten, atemlos, bohrt Löcher in den Berg Geschichte, schlägt hier und dort Partikel heraus und bastelt aus den Fragmenten etwas Neues. Zyklen im Kosmos der „Tropen“, dabei keineswegs geschlossen. Stets ergeben sich beim Lesen neue Verbindungen. Man ist geneigt, es postmodern zu nennen, weil es dem ernsthaften Spiel verpflichtet ist, einer neuen Form des Erkenntnisgewinns.

Da es vom Erhabenen handelt, fehlt auch nicht das klassische Bild: das der einsamen Bergbesteigung. „ohne die kraft zu widerstehen zieht/das erhabene den körper in seinen bann und betäubt/die seele. das verborgene in uns sträubt//sich jedoch so den berg zu denken“, heißt es in „Petrarca Mont Ventoux“. Montaigne schrieb: „Die Gewöhnung schläfert den Blick unseres Urteils ein“. Und ebenso das Urteil über den Blick. Es bedarf eines unermüdlichen Suchers wie Schrott, daran zu erinnern.

Raoul Schrott ist nie allein Dichter. Unterschiedlichste Quellen sind ihm Steinbruch. Trägt Schrott selbst vor, werden die Gedichte aller intellektuellen Anstrengung zum Trotz zum reinen Vergnügen.

Tim Schomacker

Lesung heute, Montag, 20 Uhr in der Stadtwaage, Langenstraße 13