Outsider aus der Chefetage

■ Detlev Glanert hat im Auftrag des Bremer Theaters eine Oper zu einem heiklen Thema komponiert: der Geschichte von Joseph Süß. Uraufführung ist am Mittwoch

Das Bremer Theater ist ziemlich mutig. Vor allem in der Sparte Musiktheater bringt es mehr Uraufführungen heraus als andere Stadttheater. Nach den „Wasserspielen“ haben Intendant Klaus Pierwoß und sein Team jetzt zum zweiten Mal einen Kompositionsauftrag an Detlev Glanert vergeben. Das Thema von Glanerts vierter Oper ist ein heikles, historisches, ... deutsches Sujet: die Geschichte des jüdischen Finanzberaters am württembergischen Hof, Joseph Süß-Oppenheimer. Der lebte von 1698 bis 1738 und verschaffte Herzog Karl Ale-xander von Württemberg auf dessen Veranlassung durch Steuern und Ämterverkauf eine üppige Hofhaltung. Nach dem Tod des Herzogs wurde er als Sündenbock vor Gericht gestellt und hingerichtet. Unmittelbar nach Süß' Tod gab es die erste Literatur über den Fall, später wurden besonders die Novelle von Wilhelm Hauff (1827) und der Roman von Lion Feuchtwanger (1925) bekannt. Unter dem Titel „Jud Süß“ verdrehte schließlich Veit Harlan 1940 den Fall zu einem der widerlichsten Propagandafilme.

taz: Herr Glanert, wie haben Sie sich den Quellen genähert?

Detlev Glanert: Es gibt ein Barockspektakel aus dem Todesjahr des Süß 1738. Ich habe das gelesen, aber es hat meine Sicht eher nicht beeinflusst. In der Folge gibt es sehr viele literarische Bearbeitungen dieses Themas, die für meine Oper wichtig geworden sind.

In der Geschichte sind verschiedene Aspekte zu entdecken: Einmal ist da die scheinbare Schuld des Süß. Hinzu kommt seine Rolle als Sündenbock. Und als drittes wird in der Geschichte der Absolutismus problematisiert. So weit ich mich erinnern kann, macht Lion Feuchtwanger den Süß als gesellschaftlich deklassierten Menschen verstehbar. Welche Rolle spielt der Kampf der württembergischen Landstände gegen die absolutistischen Gelüste des Herzogs?

Ich konzentriere mich auf die letzten eineinhalb Stunden vor Joseph Süß' Hinrichtung. Er erinnert sich. Es sind die politischen Intrigen, in denen Süß störte. Süß ist ein moderner Mensch mit einem starken Willen und er hat eine Sehnsucht nach Glück. Er hat die Umstände zu seinem Vorteil ausgenutzt, genauso wie andere. Aber er ist ein Outsider. Alle haben ihr Arrangement mit dem Herzog, die Schuld hat der Jude. Die Geschichte ist für mich, als Metapher, ein kleiner Ausschnitt aus der deutschen Geschichte.

Wie sind Sie denn auf dieses Thema gekommen?

Ich habe mich schon immer für die deutsche Geschichte interessiert. Doch in diesem Fall kam der thematische Vorschlag von Klaus Pierwoß.

Der Fall und die literarische Verarbeitung berührt ja besonders ein deutsches Problem: Veit Harlans Verfilmung von Feuchtwangers Roman taugte gut für die Propaganda der Nazis. Und den Antisemitismusvorwurf bekam ja auch schon Wilhelm Hauff zu hören.

Ich habe das Thema wegen unserer Geschichte komponiert, erst durch diesen Hintergrund bekommt es eine Dimension. Süß ist ein normaler Mensch. Erst durch die Umstände wird er von anderen zum Anormalen gemacht. In jeder Chefetage passiert das heute.

Sie haben mal so schön gesagt, dass Ihre Musik Kopf, Herz und Bauch gleichermaßen entspringt. Wie haben Sie den musikalischen Stil für „Joseph Süß“ gefunden, wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe eine musikalische Symmetrie für den Kerker gebaut, diese Musik kommt vom Band. Süß spricht dort nur, er verliert im Lauf des Stückes seine Stimme. Die Erinnerungsszenen sind meine musikalische Welt: Es ist verrückt gewordene Barockmusik, aus der Sicht des Süß, der hier singt. Der Alptraum vom Anfang ist am Ende Realität, in dieser Sekunde hört die Oper auf. Ich nutze die Barockmusik mit ihren Hierarchien – zum Beispiel die Gier des Herzogs auf die Frauen – und ich nutze sie als Verkleidung für eine dahinterliegende Wahrheit.

Musik kann nicht verändern, Sie haben mal das Beispiel von Alfred Höss gebracht, der Beethovenliebhaber, ja -kenner war. Was kann Kunst denn Ihrer Meinung nach beeinflussen? Ich denke an den Film von Veit Harlan oder auch daran, dass Diktatoren weltweit Kunst verbieten.

Kunst kann nicht direkt etwas bewirken, aber sie evoziert das Bessere. Sie ist ein Appell, der immer auch verboten werden muss, denn Kunst ist ein Aufruf zu einem anderen Leben und Handeln. Ute Schalz-Laurenze

Uraufführung „Joseph Süß“ am Mittwoch, 13. Oktober, 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz