: Die SPD hat großes Glück gehabt“
■ Richard Hilmer, Geschäftsführer von infratest-dimap: Der Kosovo-Krieg spielte keine Rolle für die Verluste der Grünen. Die PDS profitiert im Westen von Umzüglern aus dem Ostteil der Stadt
taz: Was ist für Sie das Überraschendste bei der Berlin-Wahl?
Richard Hilmer: Die größte Überraschung ist, dass die kleinen Parteien nicht so gut wie beim letzten Mal abgeschnitten haben. Die Berliner konzentrierten sich auf die etablierten Parteien – und dazu zählen in der Hauptstadt auch die PDS und die Grünen. Für die FDP und die Reps gab es diesmal keine Chance. Offensichtlich votieren die Wähler fast ausnahmslos für Parteien, die an der Macht beteiligt sind. Schließlich muss man bedenken, dass in den Bezirken die PDS im Osten und die Grünen im Westen eine große Rolle spielen.
Trifft dieser Wunsch, Nähe zur Macht zu demonstrieren, auch für die jungen Wähler zu?
Es ist eine interessante Neuentwicklung, dass sich die Jungwähler, die bisher offen für kleinere und auch radikale Parteien waren, den etablierten zuwenden. Die PDS schnitt vor allem bei den Jungen im Westen relativ gut ab. Für die SPD waren die Verluste bei den Jungen nicht so groß wie bei den Älteren. Verglichen mit den Ergebnissen bei den anderen Landtagswahlen, bei denen die SPD starke Verluste unter den jungen Wählern hinzunehmen hatte, ist dies sogar ein Teilerfolg der SPD. Dennoch ist die CDU auch unter den Jungen die stärkste politische Kraft.
Die Grünen haben deutliche Verluste hinnehmen müssen. An wen haben sie verloren?
Die Grünen haben in alle Richtungen verloren: insbesondere an die Sozialdemokraten, in Ostberlin und in Kreuzberg in hohem Maße an die PDS. Die Grünen haben aber auch an die CDU und die Nichtwähler Stimmen abgegeben.
Haben sich die Grünen-Wähler wegen des Kosovo-Krieges von der Partei abgewendet?
Die Grünen-Wähler sind nicht wegen des Kosovo-Krieges weggegangen, sondern weil ihnen das Thema soziale Gerechtigkeit zu kurz kommt. Das ist in erster Linie auf die Bundespolitik zurückzuführen. Die Grünen-Wähler sind mit den Landesgrünen zufriedener als mit den Bundesgrünen.
Hat der Krieg gegen Jugoslawien auch in Kreuzberg oder in Ostberlin keine Rolle für die Verluste der Grünen gespielt?
Der Krieg war nicht das Thema. Allerdings war die Strukturdiskussion, die sich bei den Grünen daran anschloss, nicht sehr förderlich für das Standing der Grünen in der Hauptstadt. Die Situation der Bundesregierung hat den Grünen geschadet.
Profitierte die PDS davon?
Zwar hat die PDS im Westen Stimmen von den Grünen gewonnen, allerdings darf man die Zuwächse nicht überbewerten. Gut die Hälfte des Zugewinns der PDS geht auf das Konto ehemaliger, vor allem jüngerer Ostdeutscher, die in den Westteil umgezogen sind. Insofern kann man die Westberliner Ergebnisse nicht verallgemeinern. Die PDS ist noch weit davon entfernt, den Sprung in die alten Bundesländer zu schaffen.
Umgekehrt haben die in den Ostteil der Stadt gezogenen Westdeutschen überwiegend die Grünen gewählt.
Sind es diese Umzügler, die zu einer Angleichung der beiden Stadthälften beitragen? Politisch ist die Stadt tief gespalten.
Es sind in erster Linie nur die jüngeren Leute, die in den anderen Teil wechseln. Sonst bleiben, auch bei Umzügen, die Ost- und die Westdeutschen lieber unter sich. Die Differenzen im Wahlverhalten werden zunächst bleiben.
Warum waren die SPD-Verluste nicht so stark wie befürchtet?
Das ist sehr relativ. Bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen 1995, als die Partei 23,6 Prozent erzielte, war die SPD bundesweit in einem fürchterlichen Tief. Am Sonntag hat die SPD nochmals in einer Stadt verloren, in der sie einmal 60 Prozent erreichte. Jetzt bundespolitisch Entwarnung zu geben, ist sicherlich verfrüht.
Wie hoch ist denn das SPD-Potenzial in der Hauptstadt?
Das ist nicht mehr sehr groß. Die SPD hat in Berlin schlicht und einfach kein Profil mehr: Sie ist bei den Arbeitern nicht beliebt. Diese wählen im Westen die CDU und im Osten eher die PDS.
Hat der Spitzenkandidat Walter Momper versagt?
Walter Momper hat es nicht geschafft, der Partei ein Profil zu geben. Die SPD hat sogar noch Glück gehabt. Ein Drittel der SPD-Wähler hat sich erst kurz vor der Wahl entschieden. Insofern war es eine gute Idee der Partei, kurz vor der Wahl sämtliche Plakate mit dem Slogan „Wir kämpfen“ zu überkleben. Mit dieser Aktion wurde der Spitzenkandidat, der über extrem niedrige Umfragewerte verfügte, im Stadtbild unsichtbar gemacht. Es war letztlich die Selbstachtung der SPD-Anhänger, die mobilisierend wirkte und Schlimmeres verhindert hat.
Welche Zukunft hat Walter Momper?
Wenn man zweimal solch ein schlechtes Ergebnis eingefahren hat, sollte sich die Partei ernsthaft Gedanken über das Personal machen. Auch wenn es um neue Senatoren in einer möglichen Großen Koalition geht. Hier braucht die SPD Politiker, die der Partei das nötige Profil geben können.
Interview Richard Rother
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