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Der Doktor

■ Resonanzkörper diverser Haushaltsgeräte: Eugene Chadbourne praktiziert seine berüchtigte Stilvielfalt ausnahmsweise solo

Wie Flaschenpostsendungen eines exzessiven Weltenbummlers pflegen die jeweils neuen Platten von Eugene Chadbourne anzulanden. Gerade sind The Beauty And The Bloodsucker bei Leo Records und Revenge Of Camper Van Chadbourne im Hause Knitting Factory erschienen – was aber trotz der einschlägigen Labelnamen nicht heißen muss, dass Chadbourne sich zur Zeit auf Freejazz versteift hätte.

Wer für seine berüchtigte Stil-Vielfalt, in der eben auch das nackte Geräusch zu Ehren kommt, so berühmt ist, wie der Doktor aus Greensboro, North Carolina, teilt nur zu gern mit vollen Händen aus: von waghalsig amputiertem Bluegrass-Picking auf dem Banjo bis zu indiskreten Feedback-Orgien auf der E-Gitarre, machmal noch von Sounds aus den Resonanzkörpern diverser Haushalts- und Gartengeräte unterfüttert.

Sollten Sie diesen unerschrockenen Musikanten noch nicht kennen und spätestens jetzt auf eienen verschrobenen Spaßonkel tippen, dann seien Sie versichert: Jugendfrei oder gar politisch korrekt ist das nicht, was ihnen am kommenden Dienstag im Molotow blüht! Von allen guten Geistern verlassen, aber unter gehörigem Einfluß so böser Buben wie Zappa, Hendrix und Albert Ayler stehend, spielt Chadbourne eine höllisch gute Musik. Als bekennender Tunichtgut kann er unbesorgt alle Register ziehen – auch das des gnadenlosen Zitierers und satirischen Geschichtenerzählers.Plattentitel wie die obigen oder auch Country Music From The World Of Islam und Locked In A Dutch Coffeshop lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Dieser Doktor praktiziert so unnachgiebig, dass man begreift: Das vermeintliche Unikum Chadbourne ist in Wahrheit ein echtes Unikat. Und an seinen erkärten Helden muss ihm vor allem deren eigensinnniges Stil- und Beharrungsvermögen imponiert haben. Bei seinem diesjährigen Gastspiel ist man im übrigen ganz dem Solisten Chadbourne ausgeliefert; sein Duo-Partner, der Schlagzeuger Paul Lovens, ist ausgerechnet in Hamburg nicht mit dabei. Dafür wird im Vorprogramm das Oberkreuzberger Nasenflötenorchester auf sich aufmerksam machen.

Apropos Berlin: Ich muss jetzt im besten Buch zum Thema 10 Jahre Mauerfall weiterlesen. Es heißt Bye Bye DDR und ist von – Eugene Chadbourne.

Andreas Schäfler

Di, 19. Oktober, 21 Uhr, Molotow

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