piwik no script img

Naive Mythen

■ Maurice Béjarts Kampnagel-Gastspiel

„Was für ein Scheißleben ist das!“ sagt Mutter Courage (Cipe Lincovsky) und zieht ihren Marketenderwagen auf die Bühne. Ob in Zeitungen, Radio, Fernsehen: „Die Nachrichten sind nicht gut.“ Dergestalt platzt die ältere Dame in die Ballettstunde von Maitre Béjarts Youngster-Truppe, verabreicht eine Speisung aus Blechnäpfen, und siehe da: Zwei Helden erstehen auf, Don Quijote (Arnaud Marcon) und Ernesto Guevara (Octavio Nahuel Stanley), prompt wollen sie sich die Hände reichen, so baff sind sie, später werden sie einen Pas de deux tanzen, noch später ist der eine tot, erschossen, doch nur, um ein weiteres Mal aufzuerstehen. Zwei Kämpfer, zwei Träumer, der Mythos lebt fort, das Gute stirbt nie, bla, bla, bla.

Maurice Béjarts Tanztheaterproduktion Che, Quijote y bandoneón ist schon ziemlich ärgerlich. Die Cervantes-Figur und der Guerilla-Führer haben außer ihrer spanischen Muttersprache an sich ja nicht viel miteinander zu tun. Der Rest ist Projektion, und im Falle Béjarts kommt noch jede Menge Willkür hinzu, so etwa die musikalische Verklammerung mittels Tango. Inhaltlich ist das Ganze – gelinde gesagt – naiv. Formal ist es nur verspielt, sehr sogar. Béjart hat vor einiger Zeit die Revue lieben gelernt, und unter diesem Signet ist bekanntlich alles möglich. Hier nun sind es beispielsweise ein aus dem Ruder laufender Tanz zu Goethes „Hexeneinmaleins“ oder eine Gesangsstunde mit Rossini. Aber eine gute Revue unterscheidet sich von einer schlechten Revue stets dadurch, dass die Formfreiheit für Subversion genutzt wird und nicht in Beliebigkeit verfällt – wie bei Béjart. Und um seine einmal zum Bühnenleben erweckten Heroen vor der harten Realität zu schützen, dazu mangelt es dem 72-Jährigen mittlerweile an Ironie, wie es scheint.

Freilich: Che, Quijote y bandoneón wurde speziell geschaffen für die Groupe 13, Béjarts schuleigene Absolvententruppe. Deren Kollektivleistung kann sich wirklich sehen lassen, die großen Gruppenbilder überzeugen – jedes für sich betrachtet – durchaus. Die Protagonisten tragen jedoch schwer an ihren Rollen, was allein durch technische Brillanz und (Spiel-)Eifer nicht wett zu machen ist. So gerät Ches Tanz mit dem Tod (Denis Vasquez) zu einer Nummer, die nur ganz knapp an der Lächerlichkeit vorbeischrammt. Und die unsägliche Cipe Lincovsky möchten wir keinesfalls so bald wiedersehen auf Kampnagel, weder als Klatschreporterin noch als Mutter Courage.

Ralf Poerschke

noch bis 17. Oktober, tägl. 19 Uhr, So 18 Uhr, k6

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen