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Der letzte Tycoon

Die Wirklichkeit ist viel interessanter als die Imagination: Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe schimpfte im Theatersaal des Tacheles über Betroffenheitsliteratur und erklärte, er sei Abraham Lincoln  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Am Imbiss gegenüber vom Kunsthaus Tacheles kostet eine Dose Beck's drei Mark. Vor dem Tacheles stehen am Abend ein paar Kameras. Der „erfolgreichste Außenseiter der US-Literatur“ (Stern) wird gleich lesen. Schön, wenn man als Bestsellerautor mit Millionenauflage und zirka hundertdreißig langen Artikeln plus Interviews zum neuen Buch noch als Außenseiter gilt. Seitdem „A Man in Full“ in Amerika im November 98 mit einer Startauflage von 1,2 Millionen Exemplaren erschien, tourt Tom Wolfe, der Erfinder des New Journalism, durch die Gegend und liest und liest.

Nun auch in Deutschland, wo das Buch vor sechs Wochen auf den Markt kam. „Ich bin's, Herr Sowieso von der B.Z.“, sagte frohgemut der Herr von der B.Z., als er das Zimmer im Tacheles betrat, an dessen Tür in Schreibschrift „Office“ stand und daneben in Kreide „Bullenfreunde“. Der Theatersaal des Tacheles war gut gefüllt, wenn auch nicht übermäßig. „Bitte nicht rauchen“, sagte jemand und dass Mr. Tom Wolfe wünsche, nur zwei Minuten am Anfang fotografiert zu werden. Vor dem Saal wartete man auf Wolfe wie auf einen alten Popstar. Würdig schritt er dann mit seinem Gefolge die Treppe hoch, stellte sich so und so vor's Treppengeländer, lächelte in 17 Kameras.

Der schlanke elegante Herr sah in seinem cremefarbenen Anzug und den maßangefertigten Schuhen ganz genauso aus wie auf den Fotos, die man von ihm kennt. Seine Krawatte würde er nur in Ausnahmefällen lockern.

Umschmeichelt vom Beifall, der seinem bisherigen Lebenswerk galt, ging er zum Podium, auf dem auch ein schönes Blumenbukett stand, sagte „Hallo“ und erklärte, worum es in seinem Roman ginge, damit die Zuhörer das Gelesene auch richtig verstehen. Also: Charlie Croker, der Held, ist ein 60-jähriger Immobilenhai, ein Selfmademan aus kleinen Verhältnissen, der es zu Ruhm, Geld und Einfluss in Atlanta gebracht hat. Er besitzt alles Mögliche – diverse Flugzeuge, Autos, eine Lebensmittelkette, Häuser sowieso. Am liebsten gibt der ehemalige Footballstar Wachteljagdgesellschaften auf seiner riesigen Plantage. Wie es erfolgreichen Geschäftsleuten zusteht, hat er seine langjährige Ehefrau durch ein schickeres 28-jähriges „Trophy Wife“ ersetzt.

Der unterhaltsame Roman berichtet auf 960 Seiten vom Niedergang des bis zur Karikatur männlichen Tycoons. Passagenweise und im Detail ist das Buch grandios, im Ganzen nicht so.

Nicht ganz unüberraschend las Wolfe aus einem der beeindruckenden Anfangskapitel des Buches vor. Die Bank, der Croker 500 Millionen Dollar schuldet, hat den Schuldner zu einem morgendlichen Krisentreffen geladen. Bislang hatte man den Helden, der sich für unangreifbar hält, mit vielen Freundlichkeiten hofiert, nun versucht ihn ein Spezialtrupp der Bank kleinzukriegen: Das Treffen findet frühmorgens statt; es gibt ekliges Essen und nach PVC riechenden Kaffee in Pappbechern;man darf nicht rauchen; ein tougher Banker versucht Croker mit ausgesuchten Sadismen kleinzukriegen.

Das Kapitel schildert einen tollen Zweikampf, in dem Harry Zale, der toughe Banker, schießlich sein Ziel erreicht, den Helden zum Schwitzen zu bringen. Tom Wolfe liest eine halbe Stunde. Sehr angenehm, mit sparsamer Gestik, wenn auch ab und an theatralisch. Schön, dass der Schauspieler Boris Aljinovic („Es macht natürlich einen Riesenspaß, ein Buch geschenkt zu bekommen und den Typen kennen zu lernen“) danach dann aus einem anderen Kapitel auf deutsch vorlas, während Tom Wolfe daneben saß und ein bisschen döste.

Am Ende wurde Wolfe noch befragt von Dennis Scheck, einem Literaturredakteur vom Deutschlandfunk, der den Autoren auch schon neulich in Hamburg begleitet hatte. Wolfe sagte zuvorkommend, die Mauer sei das größte Thema des 20. Jahrhunderts, beklagte: „Betroffenheitsliteratur is all over the United States“, erklärte „I'm like Abraham Lincoln“, antwortete auf die Frage, was er tun würde, wenn eine Fee ihm drei Wünsche schenkte, so in etwa, dass man doch die Gentechnik weit überschätze, und ist demnächst auch auf Ihrer Buchmesse.

Ein schöner Auftritt des 68-Jährigen, dessen Credo, die Wirklichkeit sei viel interessanter als die Imagination, mittlerweile auch schon zum begrüßenswerten Allgemeinplatz geworden ist.

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