: Westparteien sind ohne Ideen
■ Zehn Jahre nach dem Mauerfall ist die „Ostpartei PDS“ für „Westler“ salonfähig. Drei „Ex-Wessis“ erzählen, warum sie dort ein Kreuz machten
Die Vergangenheit lastet immer noch schwer auf der PDS. Spielt das für dich eine Rolle?
Wenn ich Ostdeutsche wäre, hätte ich wahrscheinlich damit ein Problem. Aber ich sehe die PDS unbefangen und wollte ein Zeichen setzen, dass die Diskussion um die Vergangenheit für mich vorbei ist.
Hast du schon früher PDS gewählt?
Nein. Ich habe vorher immer grün gewählt. Und bei der Bundestagswahl wollte ich der SPD mit meiner Stimme eine Chance geben. Ich habe auch diesmal anfangs wirklich überlegt, ob ich nicht doch lieber wieder die Grünen wählen sollte. Aber die Enttäuschung ist einfach zu groß. In der Bundesregierung haben die ihre ökologischen Grundsätze zu wenig durchgesetzt. Die waren mir zu opportunistisch, haben zu viele Kompromisse gemacht.
Also gehörst du auch zu den Protestwählern?
Für mich gab es einfach keine andere Alternative. Ich wähle grundsätzlich links. Und von allen linken Parteien ist die PDS die Partei, die wirklich für soziale Gerechtigkeit eintritt und der ich das auch abnehme. Ganz wichtig war für mich auch ihr Verhalten in Zusammenhang mit dem Krieg im Kosovo. Die PDS-Leute waren die einzigen, die mit der Anfangseuphorie nicht mitgegangen sind und sich nicht kriegshetzerisch geäußert haben.
Anne Voigt, 31 Jahre, aus Hamburg und Musikstudentin, zog vor zwei Jahren nach Mitte
Was will ein Westler bei einer klassischen Ostpartei?
Ich fühle mich im Westen nicht mehr wohl. Die Menschen im Osten sind einfach solidarischer. Im Westen wird immer behauptet, nur die anderen haben eine Ideologie. Dabei sind es doch die Westparteien, die total festgefahren sind und keine neuen Ideen wagen.
Die Grünen stehen also nicht für neue Ideen?
Früher habe ich grün gewählt. Aber die hatten ihre beste Zeit doch als Oppositionspartei. Da konnten sie wirklich etwas bewegen, und andere Parteien haben ihre Themen aufgegriffen. Heute machen sie in der Regierung ständig Kompromisse und verlieren dabei immer mehr an Glaubwürdigkeit. Überhaupt sind die großen Parteien in ihren Programmen kaum noch zu unterscheiden. Die PDS kommt aus einer anderen Tradition, dort denkt man anders über Politik nach.
Haben dir deine Kumpels im Westen jetzt die Freundschaft aufgekündigt?
Einige sagen, PDS zu wählen ist unanständig. Aber von meinen Freunden lehnt es keiner ausdrücklich ab. Die Zahl der PDS-Wähler nimmt von Jahr zu Jahr zu, scheinbar sind die Leute doch zufrieden. Das ist nicht bloß eine Protestpartei. Auf kommunaler und Landesebene müssen sie schließlich schon lange zeigen, dass sie mehr können als Stimmung zu machen.
Tobias Klein, Oldenburger und Germanistikstudent, wohnt jetzt im Bezirk Friedrichshain
Wählen Ruhrpottler denn nicht traditionsgemäß alle Sozialdemokratie?
Die PDS ist die einzige Partei, die für direkte Demokratie eintritt, und ich wähle grundsätzlich nur die, die meinen Politikbegriff unterstützen.
Für die Grünen ist die außerparlamentarische Bewegung nicht mehr wichtig.
Merkwürdig. Die postkommunistische PDS als Synonym für Basisdemokratie?
Im Grunde ist es doch egal, was man wählt. Man gibt seinen Zettel ab und dann machen die ohnehin, was sie wollen. Vielleicht wird man einfach so, wenn man in Staatsapparaten sitzt.
Für mich hat der ganze Parlamentarismus keine Zukunft mehr.
Das ist das erste Mal, dass ich überhaupt wähle. Bisher habe ich mich immer verweigert.
Warum dann jetzt bei der Abgeordnetenhauswahl doch der Gang zur Wahlurne?
Die PDS hat gute junge Leute. Im Osten weht einfach mehr Geist. Aber eigentlich mache ich mir wenig Gedanken darüber, wofür die einzelnen Parteien stehen. Auch bei der CDU oder der FDP gibt es gute Ideen, Freiheit oder Unterstützung für Familien zum Beispiel.
Ich würde vielleicht auch die Rechten wählen, wenn sie meine Ziele unterstützen.
Georg Kindler aus Oberhausen, seit 1989 Berliner, zog nach Prenzlauer Berg
Interviews: Karen Heinrichs/ Nicole Maschler
Fotos: Zöllner
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