piwik no script img

Schwule Courage in der Provinz

■ Simon Shores „Get real – von Mann zu Mann“ ist ein Teeniefilm über keimende Homosexualität auf dem englischen Lande

Steven (Ben Silverstone) ist 16. Er hat John (Brad Gorton), den umschwärmten Sportstar der Schule in seinem Pubertierender-Jungmann-Zimmer zu Besuch. John zeigt auf die Collage aus Bildern von muskulösen Fußballern an der Wand und sagt: „Ich wusste gar nicht, dass du Fußballfan bist.“ „Bin ich auch nicht“, sagt Steven zögernd, und damit hat er John bestätigt, worum es in diesem Film geht: Steven ist schwul in Basingstoke, einem klitzekleinen englischen Städtchen. Und das ist wichtig für eine Geschichte, die in London aufgesetzt und unglaubwürdig klingen würde.

Aber in Basingstoke ticken die Uhren noch anders und nicht andersrum. Steven kennt keinen Schwulen und bewegt sich in keiner Szene. Er schiebt am einzigen Treffpunkt, der idyllischen Klappe im Park, zwar hin und wieder Quickies mit Fremden, auch mal mit Familienvätern, die er – Schockschwerenot! – im Fotoatelier seines Vaters wiedertrifft. Aber eigentlich ist er sehr romantisch und möchte sich gern verlieben.

Eines Tages taucht John, der Prototyp eines Hetero-Machos in der Klappe auf, und die Romanze zwischen dem mutigen, nachdenklichen Steven und dem früheren Frauenhelden John nimmt ihren Lauf. Die Zutaten für diese Romanze, die Abscheu der Mitschüler, die natürlich dahinterkommen, das Unverständnis der Eltern, die Brutalität der anderen Jungs nach dem Outing, der Neid der Mädchen sind schon oft benutzte und gesehene Elemente. Der 25jährige Regisseur Simon Shore hat sie aber modern und pointiert eingesetzt und zu einem amüsanten Film zusammengebastelt, in den eine Schulklasse aus Basingstoke oder sagen wir Preußisch-Oldendorf durchaus mit ihrem Lehrer gehen könnte, um das Thema Homosexualität ohne Peinlichkeiten und Besserwisserei zu behandeln, ohne Gekicher und abfällige Bemerkungen über „Schwuchteln“ oder „schwule Säue“. Einfach eine homosexuelle Liebesgeschichte, bei der auf die sonst übliche Aids-Thematisierung verzichtet wurde.

Allerdings ist Steven im Film trotz aller Probleme viel zu „bright“, zu intelligent und sensibel. Vollgestopft mit cleveren Sprüchen wird er wahrscheinlich nach der Schule aus Basingstoke weggehen, um in irgendeiner Großstadt als Schwulenzeitungs-Kolumnist die Community aufzumischen. Einen dermaßen couragierten Kämpfer kann man sich für jedes hinterwäldlerische Dorf nur wünschen. Regisseur Shore will mit diesem (seinem ersten langen) Kinofilm eine Zielgruppe erreichen, der man ohnehin meistens starke Identifikationsfiguren anbietet: die Teenies. Und das schafft er besser als jede „Beverly Hills“- oder Lindenstraßen-Folge zum Thema In & Out.

Unter dem Aspekt der Teenie-Kompatibilität macht der Film die Minuspunkte, die für eine zu durchschaubare Anordnung der Charaktere und Handlungsstränge weggingen, wieder wett. Er lässt einen die pathetische Rede vergessen, mit der sich der schwule Wunderknabe Steven am Ende outet, und auch seine dicke, sarkastische, meist prima aufgebrezelte Nachbarin und Schwulenmutti in spe Wendy (Kate McEnery), die als beste Freundin und Geheimnisträgerin mit einigen eigenen Teenie-Problemen zu kämpfen hat, macht plötzlich Sinn. Programmatisch steht „Be homo. Be hetero. Just be.“ auf dem Presseheft, um an Calvin Kleins Freie-Jugend-Parfum-Kampagne zu erinnern. Teenies als Zielgruppe sind eben verdammt in, auch wenn es um Outing geht. Dennoch haben die Schauspieler – thank god we're british – durch die Bank überzeugende Gesichter und sind so eigenwillig, wie es amerikanische Teenies in vergleichbaren Filmen meist nicht sind (obwohl es Alicia Silverstone immer wieder versucht). Außerdem bringen sie den auch für Nicht-Teenies und Nicht-Engländer attraktiven Humor des New British Cinema mit.

Jenni Zylka

„Get Real – Von Mann zu Mann“, Regie: Simon Shore. Mit Ben Silverstone, Brad Gorton, Charlotte Brittain, UK 1998, 110 Min.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen