Was nicht knallt, kommt nicht gut

Wenn Werbepäpste sich als Popmusiker versuchen: Während der Branchenvordenker Michael Schirner eine Platte als „Pope“ veröffentlicht, wird auch das musikalische Schaffen des Sixties-Werbepioniers Charles Wilp wieder entdeckt    ■ Von Jörg Sundermeier

Charles Wilp war in den Sechzigern einer, wenn nicht sogar der führende Kopf der deutschen Werbebranche, der mit seinen Ideen die seinerzeit noch stockkonservative Branche immer wieder brüskierte. Mit seinem Afri-Cola-Slogan „Der gute Rausch“ brach er mit der eisernen Regel, niemals ein negativ konnotiertes Wort in einem Slogan zu benutzen. Zur großen Verwunderung seiner Kollegen gab ihm der Erfolg Recht.

Bis heute lebt Charles Wilp nach dem Motto, dass Kunst und Leben miteinander verwoben seien. Daher bereitet sich der heute Siebzigjährige derzeit auf einen Flug ins All vor, um einen alten Traum zu verwirklichen. In seiner kreativsten Phase in den 60ern sprengte er schon mal seinen Sportwagen in die Luft oder fesselte ein Model und nahm ihre Seufzer auf Tonband auf. Alles Kunst. Und er produzierte auch, seinem Tausendsassatum entsprechend, Musik. Doch die einzige Platte, die Aufnahmen seines musikalischen Schaffens publizierte, seinen „Sound of photography“, war lange vergessen.

Nun hat das Düsseldorfer Label Ata Tak die Platte wieder veröffentlicht und mit zwei von Wilp selbst dirigierten Rauschstücken ergänzt. Die Platte ist widersprüchlich. Einerseits unterscheidet sie sich kaum von anderen Reissues, nach denen die Lounges der Neunziger gieren, andererseits ist sie eine Spur wilder und um vieles lasziver als diese Platten. Vielleicht, weil ihre Ausrichtung eine überdeutlich sexuelle ist. Wilp nannte seine Models bei Fotosessions unheimlich gern „Bunny“, so dass seine Platte natürlich „Charles Wilp fotografiert Bunny“ heißen musste. Das Gelächter der Models ist zwischen die Stücke gestellt worden oder ihre ausführliche Erklärung, wie man sich schminkt. Und die Musik klingt dazu verlockend und bettschwer.

Ihre provozierende Wirkung bezog die Platte damals aus dem Umstand, dass Sex noch grundsätzlich tabuisiert war. Was heute so klingt, wie Cinemascope aussieht, war damals – wie Cinemascope – der letzte Schrei. Doch auch schon damals war die Cocktailmusik des Charles Wilp mehr als nur state of the art. Ihre atmosphärische Weite und ihre betonte Laszivität waren etwas Unerhörtes.

Interessant ist, dass Wilps Form des paternalistisch sich gerierenden „Bunny“-Sexismus heute wieder nur als schön empfunden wird. Bei dem Relaunch der Platte ging es daher nicht allein darum, eine durchaus interessante Musik wieder zu entdecken, nein, es galt dem Label offenbar auch, die Atmosphäre aus den Sechzigern in die Jetztzeit zu übertragen. Völlig unkritisch wird das damalige Coverartwork transferiert, Wilps Selbstdarstellung als freakiger Machertyp wird ebenso leichtgläubig übernommen wie sein Frauenbild. Sogar das Wort Bunny bleibt stehen. Interessant allerdings ist, dass die Haltung der Wiederveröffentlicher dem Menschen Wilp gegenüber heute eine ähnlich paternalische Haltung aufweist, wie er sie damals seinen Models gegenüber hatte. Er dient ihnen als lustiger alter Mann. Seine Platte aber und deren Inhalt werden fraglos übernommen.

Verschwendung versus Verdichtung

Wenn die Sechziger so siegreich zurückkommen, bleibt wenig Platz für ein Kind der Achtziger. Dabei ist Michael Schirner seit vielen Jahren ein leitender Vordenker der Werbebranche, doch merkt man seinen Ansichten ihre Herkunft aus der Hochzeit des postmodernen Theoretisierens an. Schirner verkündet noch immer die Lehre von der Werbung als Kunst, betrachtet sein Werbeschaffen als Professor jedoch viel routinierter als Wilp. Niemand würde ihn als Tausendsassa darstellen wollen, trotz seiner Professuren und seiner hinlänglich bekannten Werbefeldzüge für Pfanni, IBM, die SPD, die Grünen oder auch die taz. Auch seine jetzt unter dem Bandnamen Pope erschienene CD wird daran nichts ändern.

Im Gegensatz zum Verschwender Wilp arbeitet Schirner mit dem Mittel der Verdichtung. Seine CD arbeitet nach dem Motto: Wir machen Musik, die wir lieben, und zerstören sie dann. So werden extra eingespielte Kompositionen oder auch KLFs „What time is love“ völlig zerstört, nicht indem Schirner sich nur den Melodien widmet bei seiner Zerstörungsarbeit, nein, er greift den Rhythmus an. Das Ganze klingt wie eine schöne CD, die von einem kaputten und springenden CD-Player verhackstückt wird. Schirmer findet seine Methode grenzensprengend und radikal, und damit mag er – gerade, wenn man seine Musikarbeit an so was wie dem Wilp-Revival misst – Recht haben. Allerdings drängt sich die Frage auf, wofür diese Form des Radikalismus noch gut sein soll. Es ist einfach nur eine Musik, die sich allem verweigert, außer dem Vorwurf des Obskurantismus, dem sie offenen Armes entgegenläuft.

Beide, Wilp wie Schirner, sind Produkte ihrer Branche. Sie bleiben Werber, und als solche können sie die Bedeutung ihres Tuns nur an der unmittelbaren Wirkung ihres Tuns ablesen. Was nicht knallt, kommt nicht gut. Dementsprechend wirkten beziehungsweise wirken beide zu ihrer Zeit als radikal und aufständisch. Allein aus dieser verstörenden Wirkung heraus bezieht ihre Musik die Kraft, die ihre Macher an ihr schätzen. Jedoch bedeutet beider Musik über ihre provozierende Art hinaus nichts. Sie nutzt die Effekte, die sie evoziert, nur um die Künstler interessant zu halten. Werber bewerben sich hier also selbst. Das ist schon eine sehr merkwürdige Art Autobiografie, die so geschaffen wird. Vielleicht ist das aber alles auch nur Leistungsschau, und die Tatsache, dass ein Artikel wie dieser erscheint, bedeutet: Ihre Strategie ist aufgegangen.

Charles Wilp: „Charles Wilp fotografiert Bunny“ (Ata Tak/ EFA); Pope: „Perceptions of Private Entity“ (Chicken Rec./ Koch)