: Die neue Bitterkeit
Heldinnen des Desillusionsromans: „Britta“ und „Vermooste Vlöten“ in der Schauspielhaus-Kantine ■ Von René Martens
Zeilen aus Heines Buch der Lieder vertonen; ein Fragment aus Flauberts Madame Bovary adaptieren; mit einer Fußnote im Booklet auf Goethe verweisen – Bands, die solche Dinge in den 70er-Jahren taten, sorgten zu recht für Befremden.
Die Berliner Gruppe Britta jedoch, zu zwei Dritteln ehemalige Lassie Singer, kann es, denn sie verfügt über eine Texterin und Sängerin, die zumindest im deutschsprachigen Raum ihresgleichen sucht: Christiane Rösinger kommt nit wenigen Worten aus, verzichtet nahezu gänzlich auf Sprachspiele und Metaphern und versteht es dennoch, mit diesen beschränkten Mitteln einen Mikrokosmos lebendig zu machen – und weitaus mehr auszudrücken als beispielsweise die Meister der gerade wg. Buchmesse mal wieder als „neue deutsche Dichter“ (Spiegel) gefeierten Arschnasen.
Die Bonmots und griffigen Lebensweisheiten Rösingers, nichts aus dem Ärmel Geschütteltes, sondern die Ergebnisse harter Arbeit und noch härterer Erfahrung, lassen erahnen, dass von ihr vielleicht auch als Literatin noch einiges zu erwarten list. Der Text Der Musiker als Held des Desillusionsromans, erschienen in der aktuellen Ausgabe von Die Beute, verstärkt diesen Eindruck.
„Ich bin ganz schön cool geworden/Aber nicht im Sinne von resigniert/Es ist die neue Bitterkeit/Sie hat mein Leben reformiert“ – diese Zeilen bringen Brittas Lebensphilosophie am besten auf den Punkt. Plakativ formuliert: „Christiane Rösinger ist die Heldin der anonymen Melancholiker“ (Die Zeit). Die Texte auf Irgendwas ist immer, dem ersten Britta-Album, sind insgesamt geprägt von einem unwiderstehlichen Zynismus und einer Selbstironie, die sich wohltuend abhebt von den spottbilligen Varianten dieser Haltung, die derzeit en vogue sind. Wenn Rösinger, im sehr weiten Sinne von Liebe singt, klingt das so: „Ach egal, was die anderen sagen/Ich denk jetzt mal an mich/Ich glaub, ich hab ein Faible für Idioten/Ich glaub, ich hab ein Faible für Dich.“ Zugegeben, der Song ist schon älter – er stammt noch aus Lassie-Singers-Zeiten –, aber die getragene, neobittere Britta-Version bringt den Text viel besser auf den Punkt. Die Musik des Trios ist inspiriert von Ton Steine Scherben, Lou Reed und Leonard Cohen: ein karger Basis-Sound in Moll, vorsichtig ausgeschmückt von Gastmusikern an Cello und Geige. Irgendwas ist immer klingt nicht so spektakulär wie eine dieser so offensichtlich Jahres-Top-Ten-verdächtigen Platten, die einige befreundete Kollegen produziert haben (Blumfeld, Tocotronic, Knarf Relöm Ism). Aber wer zwischen 30 und 40 ist, den können diese Songs schwerlich kalt lassen.
Um mit ihrer Musik nicht den Majors, also BWL-Studenten und sonnensudierten Promo-Torten, ausgeliefert zu sein, haben Rösinger und Almut Klotz (früher auch ein Lassie Singer, jetzt Parole Trixie) vor einem Jahr das Label Flittchen Records gegründet.
Hier ist auch ngongo erschienen, das zweite Album der Vermoosten Vlöten, die heute Abend zusammen mit Britta auftreten. Bei der sehr charmanten Musik dieses Duos denkt man an „malerisch zerbröckelte, im dritten Hinterhof gelegene Geheimclubs in sexy Mitte“ (Rösinger im erwähnten Beute-Text), also an eine Zeit, die schon ein Weilchen vorüber ist. ngongo, unter anderem mit Banjo, Mandoline und Casio eingespielt, weckt außerdem Erinnerungen an Velvet Underground, die Raincoats und frühe ZickZack-Singles. Man kann natürlich auch Low-Fi dazu sagen.
In den Golden Pudel's Club, wo die Vermoosten Vlöten morgen allein auftreten, passt die Musik jedenfalls ziemlich gut.
heute, Britta/Vermooste Flöten, Schauspielhaus-Kantine, 23 Uhr
Sonntag, nur Vermooste Vlöten, Golden Pudel's Club, ca. 24 Uhr (nach Ende des Rocko Schamoni-Konzerts, siehe rechts)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen