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Modernes Chancenmanagement

Durch einen leichten Druck auf die Verriegelung öffnen wir das Fahrzeug“: Im Pfefferberg konnte man auf der „1. Messe der Geldbeschaffungsmaßnahmen“ unter anderem lernen, wie man Autos knackt  ■   Von Jenni Zylka

In einem Märchen von Hans Christian Andersen raspelt sich der Held mit einer kleinen Raspel ständig die Lippen blutig, denn immer wenn er sich damit über den Mund fährt, fallen Goldstücke heraus. Klingt brutal und märchenhaft, wie Andersen-Erzählungen eben sind. Auf der „1. Messe der Geldbeschaffungsmaßnahmen“ (GBM), die am Wochenende im Pfefferberg stattfand, hätte eine solche Versuchsbeschreibung aber garantiert eine Chance gehabt. Fantastische, künstlerische und auf den ersten Blick realistische Ideen zum Thema „Haste ma ne Mark?“ wurden angeboten, diskutiert und erklärt. Die auf den vier ausgestellten Fotografien sehr symphatische Anja Ibsch zum Beispiel hat sich vor zwei Jahren in Bangkok „auf einem belebten Platz“ und unter einer Palme platziert und ein kleines Schildchen mit „One Kiss 10 Baht“ (= Bangkok-Geld) vor sich aufgestellt. Sozusagen die niedlich-elegante Version des Ibiza-Disco-Hits, bei dem besonders besoffene Touristen besonders langmähnige Unterhalterinnen knutschen dürfen. Wie viel das kussfreudige Fräulein Ibsch verdient hat, wurde leider vorenthalten, aber vermutlich war es danach eher reich an Erfahrung.

Andere boten sinnvolle Zukunftsinvestitionen: Der „Verein für Vollbeschäftigung & Erforschung des Unbemerkten“ hatte kleine, Peepshow-artige Videokabinen aufgebaut, in denen man für eine Mark eine Minute eines Videobandes der Polizei anschauen konnte. Darauf erklärte „der nicht vorbestrafte Sohn eines berühmten Taschendiebes“ (so Ursula Cyriax vom Verein) einer Horde schnauzbärtiger Polizeischüler jede Menge Taschendiebtricks. Er nahm die verblüfften Schupos dabei nach Strich und Faden aus, und das war sehr amüsant anzuschauen, fast wie eine Doku-Version vom Robert-Bresson-Film „Pickpocket“ oder dem James-Coburn-Krimi „Harry mit den langen Fingern“. Die zweite Vorsitzende des Vereins, Katrin Werner, sieht das Geld für ihre Pay-TV-Idee „gut angelegt“, und Recht hat sie.

Auch von den „Sportfreunden der Sperrtechnik“ gab es aktive Praxisanleitungen, diesmal zum Thema Schlösser. „Wir bieten Workshops an, bei denen man lernt, verschiedene Schlösser zu öffnen“, sagt der Oberschlosser mit nettem Lächeln und sieht sich „weit entfernt“ von jeglicher Illegalität. In einem Schulungsvideo einer privaten Wachschutzfirma demonstrierte dazu ein mopsiger Jeanshemdträger, wie man „mit Gerät Nr. 1538, dem Autoöffner für den Audi“, ohne Probleme den Audi Soundso knackt. „Das Werkzeug wird wie folgt in das Fahrzeug eingeführt“, schwups, und „durch einen leichten Druck auf die Verriegelung öffnen wir das Fahrzeug.“ Die Besucher der Messe saßen auf Holzbänken davor, staunten und kicherten.

Vordergründig künstlerischer, aber hintergründig genauso freundlich-skrupellos die begehbare Installation „Spendenzauberwald“ vom Künstler Parzival: eine Anordnung hölzerner, mit Blättern beklebter Ständer mit Schildern, auf denen zum Beispiel „Spende – und Du wirst ewig leben“ oder „Spende – und Dein Name kommt in die Geschichtsbücher“ stand. Darunter kleine Spendengläser, meistens eher leer, unter der Aufforderung „Spende – und Du wirst so gut wie Kapielski“ immerhin ein Pfennig. Thomas Kapielski, Bert Papenfuß, Falko Hennig und andere SchriftstellerInnen und KünstlerInnen moderierten Vorträge und Podiumsdiskussionen mit Titeln wie „Alles nur geklaut – Tatorte“ oder „Was ist eine gelungene GBM?“, die „Glücklichen Arbeitslosen“ stellten ihre Aktion Anthropodom“ (ein so genanntes Arbeitslosenrennen) vor. Und Schriftsteller und Mitinitiator Helmut Höge betreute einen Stand mit interessanten „Diskussionspapieren“ der FU Berlin, FB Wirtschaftswissenschaften, Fachgebiet „Volkswirtschaft des Vorderen Orients“, zu Themen wie „Frauengruppen in Kenia – Gegenseitige Hilfe und betriebswirtschaftliches Kalkül“.

Als Messeteilnehmer geplant war übrigens auch Berlins Lieblingssafeknacker Dagobert, der konnte aber nicht. Dabei hätte er die Frage „Alle Wege führen zu Geld, doch welcher ist der Kürzeste?“ bestimmt fachkompetent und vorbildlich beantwortet.

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