: Am Rand gerendert
■ Meinungsvakanzen neben Visionen: Das Münchner Symposium „Räumungen“ versuchte, den Ort des Theaters neu zu vermessen
Christoph Schlingensief ist überall. Frei nach der Devise: Das einzig Echte in einer Welt von Placebos ist das Dilettantische, schlingert sein Unsinnstheater derzeit auf „Deutschlandsuche“ durch die halbe Welt. Nach München aber kam es nicht. Ganz echt und auch noch überraschend mussten die von Petra Kohse (taz) und Ralph Hammerthaler (SZ) moderierten „Räumungen“ im Bayerischen Staatsschauspiel ohne ihn auskommen. Und war das nun vom bübischsten Banal-Eventler Deutschlands so geplant oder schlicht Vergesslichkeit – eine Art Ereignis hat es provoziert, wenn auch eines ohne Protagonisten. Die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanovic hatte die politische Wirklichkeit ihres Landes von einem Deutschland-Besuch abgehalten, bei der Bühnenbildnerin Anna Viebrock war es die Innenpolitik in der Marthalerischen Theaterfamilie. Und Regisseur Matthias Hartmann wurde schlicht Opfer seines offenbar politikunwilligen Magens.
Die Eingangsrunde über „Politische Räume“ hat von den vielen „vakanten Meinungsplätzen“ (Kohse) nicht gerade profitiert. Und doch fand sich manch Aufschlussreiches vor allem in den Spalten und Falten des offen Ausgesprochenen. Auf der Bühne des Cuvilliéstheaters balancierte Cornelia Crombholz, die dort demnächst die Uraufführung von Jörg Michael Körbls „Neues Deutschland“ besorgen wird, mit beispielloser Vagheit an allen Fragen vorbei. Alles sei „irgendwie so“, „vielleicht aber auch nicht“, und das Politische in ihrem Theater bestünde darin, ein rotes Kleid auf die Bühne zu stellen. Und das wagt die gebürtige Hallenserin so dahinzuschnoddern, wo doch der Berliner Politikwissenschaftler Ekkehart Krippendorff das Theater gerade als Zentrum des Politischen ausgerufen hatte.
Bei solchen Äußerungen und Theatervisionen sind die Andockmöglichkeiten für das Theater- und Vortragspublikum zweifellos nachdenklicher Art, während die junge Bühnenbildnerin Stefanie Wilhelm viel von „Atmosphäre“ und „Temperatur“ spricht und Albert Hirche die lautesten Lacher kassiert: „Sie schauen aus dem Fenster und sehen, dass ihr Nachbar einen Ausländer verbrennt. Machen Sie einen anderen Vorschlag.“ So bereitet Hirche die Schauspieler des Theater Mahagoni auf das „Training für Eutschland“ vor und lässt für einen Moment wohltuend vergessen, welche Klippen sich gerade auftürmen wollten zwischen einem Theater als freischwebender Erfahrungs- und Erzählraum mit Definitionsmacht. Und für einen weiteren kurzen Moment sieht man die Schauplätze der Zukunft als Impulsstätten vor sich, die dennoch nicht darauf verzichten, ihre Erfahrungen auch zu artikulieren.
Welche Erfahrungen? Und welche „Wirklichkeiten“? Wenn es im zweiten Teil des Symposiums um „Innenräume – Außenräume“ ging, kamen jene schiefen Blicke auf den traditionellen Theaterraum zum Vorschein, die man sich von den „Politischen“ gewünscht hätte. Die Performerin Johanna Freiburg beschreibt die einzige Begegnung mit der Guckkastenbühne als ihr bisher „radikalstes“ Experiment. Sonst nämlich entwickle die Gruppe Gob Squad ihre Aktionen aus den banalen Eigenheiten immer neuer Alltagsräume. Da trifft sie sich fast mit Andreas Hild, der als Architekt die natürliche Bedeutung eines Raumes zu stärken sucht, statt ihn zu neutralisieren wie das traditionelle Theater. Ulf Langheinrich arbeitet gar an der Neutralisierung des schauspielenden Menschen. Seine „Modelle“ und „NoiseGates“ zeigen in kleinste Einheiten zerlegte Gesten, die gesampelt und „neu gerendert“ wurden. Das „unfokussierte“ Rauschen, das der Mann da so unaufgeregt verkündet, das ist die andere Seite des Erlebnistheaters, wo es keinen Schweiß und keine Tränen mehr gibt, sondern nur ein Ritual aus Farbe, Rauch und Geräuschen. Sicher ist eine solche Vision ebenso unverschämt wie der Glaube an das Theater als Zentralorgan der Welterklärung. Aber immerhin ist es eine Vision.
Sabine Leucht
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