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Weniger grüne Querdenker, bitte!

Beim Länderrat der Grünen wird besonders die Arbeit von Bundestagsfraktion und Regierung kritisiert: Sie seien zu wirtschaftsfreundlich  ■   Aus Magdeburg Tina Stadelmayer

Selbstkritik war angesagt in Magdeburg, auf dem Treffen der etwa 80 Amts- und MandatsträgerInnen, die dem Länderrat der Bündnisgrünen angehören. Manch eine erinnerte sich in dieser Stadt an den verhängnisvollen Parteitag vor eineinhalb Jahren, als die Grünen die schrittweise Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark beschlossen. Von da an ging es bei sämtlichen Wahlen bergab. Der Beschluss war ein Fehler, da waren sich an diesem Wochenende alle einig. Doch davon abgesehen fanden Linke und Realos für das schlechte Abschneiden bei den vergangenen Landtagswahlen unterschiedliche Gründe. „Die Regierungsbeteiligung hat uns in eine existenzielle Krise gestürzt“, sagte etwa Vorstandssprecherin Antje Radcke. Die Politik der rot-grünen Bundesregierung werde von vielen als zu wirtschaftsfreundlich empfunden. „Es müsste für uns ein Alarmzeichen sein, dass sich viele im Osten als Menschen 2. Klasse behandelt fühlen.“

Der Sprecher des Berliner Landesverbandes, Andreas Schulz, setzte noch eins drauf: Die Bundesregierung „schröpft die sozial Schwachen und macht um die Reichen einen Bogen.“ Das Sparpaket der Regierung sei die „Umsetzung des Schröder/Blair-Papiers“.

„Noch ist es Zeit: Die soziale Schieflage des Sparpakets beseitigen“, lautete der Antrag des Berliner Landesverbandes. Darin forderten die Berliner die Korrektur des Sparpakets als „politisches Signal“. Doch der Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Fraktionssprecher Rezzo Schlauch wehrte sich lauthals gegen die Vorwürfe der Linken. Die Grünen hätten in den vergangenen zwölf Monaten in der Regierung „viel geschafft“: ein neues Staatsbürgerschaftsrecht, die Einkommenssteuerreform, die Erhöhung des Kindergeldes ... Was ihm besonders „auf den Geist“ gehe: „Wir fangen selbst an, CDU und PDS als das soziale Gewissen der Nation hochzustilisieren.“

In einem waren sich Linke und Realo-Landespolitiker einig: Die Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Monaten mit widersprüchlichen Vorschlägen Chaos gestiftet. Sogar Fraktionssprecherin Kerstin Müller gab zu: „Wir müssen den Wettbewerb der originellsten Querdenker drastisch einschränken.“ Es sei nicht hilfreich gewesen, die von den Grünen beschlossene Vermögensabgabe als „Neidsteuer“ zu bezeichnen.

Mit großer Mehrheit stimmten die Delegierten dem Antrag des Bundesvorstandes zu, in dem das Sparpaket der Regierung unterstützt wird. Sie verlangten von der Fraktion jedoch, bei den weiteren Betratungen eigene Akzente zu setzen. In dem schließlich verabschiedeten Antrag heißt es, die Begrenzung des Rentenanstiegs und Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe für bestimmte Gruppen seien nur dann akzeptabel, wenn eine Grundsicherung eingeführt werde.

Das Wort „Vermögensabgabe“ kommt in dem Antrag nicht vor. Stattdessen heißt es: „hohe Privatvermögen“ und „hohe Erbschaften“ seien mit „mit angemessenen Beiträgen zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben heranzuziehen“. Eine Ergänzung konnten die Linken durchsetzen: „Weitere Bevölkerungskreise“ (Beamte und Selbstständige) seien in die Sozialversicherungspflicht mit einzubeziehen.

Umweltminister Jürgen Trittin bekam viel Beifall für seine Forderung, noch in dieser Wahlperiode die ersten Atomkraftwerke stillzulegen. Der Ausstieg werde in diesem Winter „im Konsens oder im Dissens“ mit den Betreibern entschieden. Trittin empfahl seiner Partei, sich nicht „auf Jahreszahlen“ festzulegen, wann das letzte AKW vom Netz gehen müsse. Die Delegierten segneten einen entsprechenen Antrag ab.

Noch am späten Samstagabend begann die Debatte über die Reform der Parteistrukturen. Eine Kommission hatte sich geeinigt, dass die Trennung von Amt und Mandat in Zukunft nicht mehr kategorisch gelten soll. Hans Albert Lennartz aus Niedersachsen: Die bisherige Rollenverteilung zwischen Parteifunktionären und Abgeordneten sei „unproduktiv“. Jerzey Montag aus Bayern sagte: Wer nicht wolle, dass der „virtuelle Vorsitzende“ Joschka Fischer die Partei regiere, müsse dafür sorgen, dass „die Besten“ in den Vorstand gewählt würden. Die Delegierte Marianne Hürten vertrat die Gegenposition: „Wir wollen keine Klüngel und keine Cliquen. Deshalb muss die Macht auf viele Schultern verteilt werden.“ Die Delegierten stimmten mit großer Mehrheit dafür, dass die Trennung von Amt und Mandat „nicht mehr kategorisch gelten soll“. Außerdem sprachen sie sich für ein 15-köpfigen Parteipräsidium aus, das den Parteirat ersetzen soll.

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