: Bemützte Springmaus
■ Der Stevie-Wonder-Stimmimitator Jay Kay hievt Jamiroquai in die Charts
Achtung, Entwarnung: Wer derzeit einen scheuen Blick auf die Spitze der Albumcharts wagt, wird ausnahmsweise keinen Kulturschock erleiden müssen. Jenseits der unvermeidlichen Ringelrangelrosen-Posse Backstreet Boys und noch vor den California-Wiedergängern Red Hot Chili Peppers sowie dem unvermindert anhaltenden Hype um die kubanische Opa-Kolchose aus Ibrahim Ferrer und dessen ehemaligem Buena Vista Social Club thront stolz der quirligste aller Dancefloor-Derwische.
Jamiroquais Jay Kay, Stevie Wonders blasse Stimm-Imitation, hat mit Synkronized anscheinend genau das Stück Tanzkultur in Songs gebettet, das all jene Fans brauchen, denen die Wartezeit bis zu den neuen Outputs von Simply Red und Incognito unendlich erscheint. Und nicht nur das: Erst kürzlich hievte die britische Ausgabe des „Orgasmus Sofort“-MagazinsCosmopolitan den kleinen Mann aus Manchester auf Platz 44 ihrer Rubrik „100 Sexiest Men On The Planet“. Der Grund: Du weißt, was man (frau!) über Männer sagt, die tanzen können! Und Jay Kay kann tanzen. Mal ehrlich, wer hätte gedacht, dass diese bemützte Wüstenspringmaus, die immer so herumdüst, als hätte sie eine frische Duracel im Hintern, einmal als konsensfähiges Sexsymbol durchgehen würde, wo wir bis vor einem Jahr noch nicht einmal wussten, wie genau Jasons Gesicht eigentlich aussieht! Eben.
Aber vielleicht ist das so, wenn einem als Musiker nicht mehr allzuviel Neues und Spannendes einfallen will. Jamiroquais Alben waren von Anfang an eine funky Ansammlung von zwei bis drei guten Tanztiteln, zwei schrägen Soundnummern für angehende Abstraktler und einem dicken Sack an wohlklingenden Nullnummern.
Und auch inhaltlich besticht der heute 30-jährige Millionär durch ein solides Maß an Seitenwechslerei: Einst der besorgte Öko-Funker, der sich als Inkarnation eines aussterbenden Indianerstamms stilisierte, heute Ferrari-Fahrer, PS-verknallter Autonarr und schamloser Party-Schmuser, dessen Konterfei als stabiles Maß für ein gediegenes Stück Stillstand gehandelt werden darf. Auch eine Art, sich zu einigen.
Oliver Rohlf
Mo, 25. Oktober, 20 Uhr, Alsterdorfer Sporthalle
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