: Links müssen sich lohnen
■ Ein Onlinehändler versucht die Regeln des Datenverkehrs neu zu definieren: Der Hintereingang zur Website wird geschlossen
Das Web war erfunden worden, weil hochbezahlte Wissenschaftler möglichst schnell an die Informationen herankommen wollten, die sie für ihre Arbeit brauchten. Der Querverweis von einem Dokument zu einem anderen spart vor allem dann Zeit, wenn er möglichst präzise auf den Punkt zielt, der im Zusammenhang des Themas wichtig ist. Diese einfachen Regeln haben das Web über die Gemeinde der Wissenschaftler hinaus populär gemacht. Aber ihre Tage sind gezählt. Wer im Web Geld verdienen will, braucht Links zu zahlenden Kunden, nicht zu Informationen, die nichts kosten.
Charles Conn zumindest ist fest davon überzeugt, dass wir neue Regeln für den Datenverkehr brauchen. Conn, 37 Jahre alt, betreibt mit viel Erfolg eine Agentur, die online Touristeninformationen und Eintrittskarten zu allen möglichen Ereignissen für gut 50 amerikanische, einige australische und skandinavische Städte vertreibt (www.citysearch.com).
Ein Aufsteiger aus dem Bilderbuch des E-Commerce. Als er seine Firma letztes Jahr an die Börse brachte, waren die Aktien augenblicklich überzeichnet, und in desem Sommer fand sogar Bill Gates, dass Conn von diesem speziellen Geschäft wohl mehr verstehe als Microsoft. Gates verkaufte seinen eigenen Stadtinformationsdienst „Sidewalk“ an den Absolventen der Harvard Business School.
Microsoft ist seither mit soliden 13 Prozent am Kapital des Kartenverkäufers beteiligt. Inzwischen kursieren Gerüchte, dass Conn die legendäre, aber finanziell ausgeblutete Village Voice übernehmen könnte. Das Wochenmagazin, zu dem einige weitere Szeneblätter gehören, steht zum Verkauf an, und Conn ließ verlauten, ein solches Standbein in der alten, analogen Welt erscheine ihm sinnvoll auch für sein Onlinegeschäft.
Ohnehin denkt der Geschäftsmann, der im Nebenfach auch Philosophie und Politologie studiert hat, gerne grundsätzlich über das Web nach. Die segensreiche Erfindung des Hyperlinks habe nämlich ihre Funktion gewandelt, erläuterte er seine Erkentnisse in einem Interview mit dem C'Net-Magazin (news.cnet.com/news//0-1005-201-345921-0.html). Das Web werde immer weniger dazu genutzt, nach unbekannten, womöglich wissenschaftlichen Informationen und Dokumenten zu forschen, sondern dazu, „ganz praktische Dinge zu tun“. Zum Beispiel Eintrittskarten in Atlanta zu kaufen. Dieser Wandel habe sich „still und leise hinter den Kulissen“ vollzogen, meint Conn, aber er sei unaufhaltsam, wie der Erfolg des Buchvertriebs Amazon, des Onlineversteigerers eBay oder eben auch seiner eigenen Firma beweise.
Doch seit letzter Woche erregt Charles Conn nicht mehr nur mit seinen kommerziellen Erfolgengen Aufsehen. Unter www.prnewswire.com/micro/TMCS ist eine längere Erklärung aus seiner Feder nachzulesen, die an die Grundfesten des World Wide Web rührt. Anlass des bemerkenswerten Papiers waren ein paar Links, die ein anderer, vergleichsweise bedeutungsloser Online-Kartenhändler namens „Tickets.com“ auf einige der hinteren Seiten von Conns Web-Portal unter www.Ticketmaster.com gesetzt hatte. Die Informationen, die dort zu finden waren, schienen dem kleinen Konkurrenten auch sinnvoll für seine Kunden, doch Conn hetzte ihm umghend seine Rechtsanwälte mit dem Argument auf den Hals, diese Praxis des „deep linking“ sei eine krasse Verletzung des Urheberrechts.
Tickets.com hielt dagegen, dass seine Verweise keinen einzigen Kunden davon abhalten, bei Conn einzukaufen, wohl eher sei das Gegenteil wahrscheinlich, doch darauf kommt es dem Kläger nicht an. Er verdient sein Geld nicht mit dem Verkauf von Eintrittskarten, sondern von Werbeplätzen auf seiner gut besuchten Website. Just diese Kunden aber, die teuer für die minimale Chance bezahlen müssen, dass ein Surfer vielleicht auch einmal auf ihre bunten Bildchen schaut, gehen leer aus, wenn jemand ohne Umwege unmittelbar auf ein Dokument zugreift.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hat der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung. So ganz still und leise lässt sich das Web wohl doch nicht zum Vertriebskanal für Werbebanner umfunktionieren. Vielmehr habe sich ein „natürlicher Konflikt“ herausgebildet, schreibt Conn in seinem Papier. Auf der einen Seite ständen Gesellschaften, die „riesige Mengen an Geld und Zeit“ dafür aufwenden, die „Inhalte“ ihrer Websites zu entwickeln, wozu auch gehöre, „Kontakte mit Werbetreibenden“ aufzubauen. Auf der anderen Seite aber, ahnt Conn, sei die Möglichkeit, im Web prinzipiell jedes Dokument mit jedem anderen verknüpfen zu können, das „wesentliche Element“, das aus dem Internet jenes „mächtige Medium der Kommunikation, des Geschäfts und der Forschung“ gemacht habe, das wir heute kennen.
Wohl wahr, aber mit der Idylle der wissenschaftlichen Gemeinschaft lässt sich nun mal kein Geld verdienen. Conn schlägt deshalb nichts Geringeres vor, als einen Verhaltenskodex der Industrie, der die technischen Möglichkeiten des Web begrenzt und an die Regeln einer vorerst nur vage definierten, fairen Konkurrenz unter Geschäftsleuten anpasst. Es sei „hohe Zeit“, schreibt Conn, präziser zu diskutieren, wann ein Link zu einem bestimmten nachgeordneten Dokument einer fremden Website zulässig sei und wann nicht. Ein solcher Zugriff müsse in jedem Fall unter den beteiligten Partnern vereinbart werden – nach Conns Meinung sollten sich sogar Suchmaschinen an diese Vorschrift halten. Auch sie sollten in ihre Trefferliste nur noch die Adressen aufnehmen, die der Website-Betreiber ausdrücklich als Kundeneingänge definiert hat.
Anfang des Monats hatte der Onlineversteigerer eBay bereits die Suchmaschine Yahoo wegen eines „deep link“ auf seine hinteren Seiten verklagt. Conns Initiative hat durchaus Chancen, zum Industiestandard zu werden. Die Folgen wären dramatisch. Nicht mehr die Roboter der Suchmaschinen, sondern ganze Heerscharen von Rechtsanwälten würden das Web nach „deep links“ durchsuchen, nach ebenjenen zielgenauen Verweisen also, die am Anfang des Webs standen. Sie könnten schon bald ein Rechtsrisiko sein, das kein privater Homepagebastler mehr eingehen kann.
Niklaus Hablützel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen