: Überlebende der Nacht
■ Nichts gegen Barock und Schweinerock: Die amerikanische Postrock-Band Trans Am liebt die Sounds aus der Steinzeit der elektronischen Musik und repräsentiert die Vergangenheit der Rockmusik genauso wie deren Zukunft
Als würde Jimi Hendrix noch einmal das Star Spangled Banner zerfetzen, so beginnt „Future World“, das neue und vierte Album von Trans Am. Sieht so die Zukunft aus, eine klagende elektrische Gitarre, moduliert und bearbeitet mit Elektronik? Natürlich nicht. Aber: Dieses Intro und vor allem seine geschichtlichen Referenzen stehen als Gegenpol zu dem, was Trans Am repräsentieren: Die Moderne.
Doch diese Moderne, die das Trio aus Washington DC meint, ist nicht die der Jetztzeit. Hier ist Moderne eher der kulturhistorische Kampfbegriff. In der Architektur steht er für gläserne Funktionalität, in der Musik für den historisch ersten Einsatz von Elektronik: Verzerrte Vocoder-Stimmen, wimmernde Ursynthies, trockene Rhythmusmaschinen.
Ausgehend von dieser Moderne erforschen Trans Am in ihren Instrumentals dann die Vergangenheit von Rock. Man hat das nicht ohne Grund Postrock genannt: Nicht darauf verzichten können, aber auch nicht so richtig dazu stehen. Diese Unentschiedenheit machte aber wohl gerade den Reiz aus.
Am liebsten verwenden Trans Am uralte Billig-Synthesizer. Das ist vielleicht kein halbseidener Trick, aber öfter klingt es so. Man könnte auch sagen, Trans Am holen den Sound aus der Steinzeit der elektronischen Musik zurück. Manchmal kratzt es komisch vertraut und man könnte fast meinen, der Saphir sei kaputt, bevor einem einfällt, dass man schon lange keinen Plattenspieler mehr hat und da eine CD rotiert. Aber: Wo befinden wir uns eigentlich momentan? Oder besser: Wann? Immer noch in der Postmoderne? Oder doch nicht schon irgendwie weiter? Aber wenn ja: Wie heißt das denn? Solche Fragen scheint die Musik von Trans Am erst gar nicht zu beschäftigen. So gesehen ist sie arg rückwärtsgewandt, zufrieden mit sich, und der Plattentitel kaum mehr als ein historischer Scherz.
Tatsächlich wird diese Musik durchaus des öfteren zum Schweinerock. Ja, ist sogar stolz darauf. Und nicht zu knapp. Es ist überliefert, dass Philip Manley mit seiner Gitarre schon mal am Bühnenrand stand, die Augen geschlossen, das Solo dudelnd, Jimmy Page und Konsorten revisited.
Früher hat man sich noch mehr um Dekonstruktion von Rock-Klischees bemüht. Heute scheinen sie sich des öfteren in deren barocker Üppigkeit wohlig einzurichten. Was, fragt man sich, soll das bringen: Wenn mit Postrock, dem so genannten, dann doch wieder vor allem die alten Rituale zurückgeholt werden? Thomas Winkler
Heute abend ab 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Str. 154–156, Mitte
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