■ Kommentar: Lernprozesse Wie wichtig ist die Kritik an der Wehrmachtsausstellung?
Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“ war ein Pionierunternehmen, auch was die Verwendung von Fotos als historische Quelle anlangt. Denn viele der Fotos waren gänzlich unbeschriftet und die genaue Bestimmung vieler der dargestellten Opfer wie der Täter erwies sich oft als unmöglich. Auch wurden die Ausstellungsmacher durch falsche Beschriftungen der Archive mehr als einmal in die Irre geführt. Insofern stellen sich die bald fünfjährigen Auseinandersetzungen um die Ausstellung als Lernprozess dar, von dem die ganze historische Zunft profitiert.
Jetzt wird den Historikern um Hannes Heer im Anschluss an zwei Artikel ostmitteleuropäischer Historiker der Vorwurf gemacht, sie hätten sich von ihren vorgefassten Meinungen hinreißen lassen. Sie seien zudem Opfer der naiven populären Vorstellung geworden, wonach ein Foto an sich die Wahrheit spreche. Dieser Vorwurf ist doppelt ungerecht. Denn er ignoriert nicht nur die eigenständigen Bemühungen der Institutshistoriker um die Verifizierung der Fotos in ihrem historischen Umfeld. Er unterschlägt zudem die methodische Reflexion des Instituts. Hannes Heer und die Seinen sind gut beraten, jetzt nicht dem öffentlichen Druck nachzugeben und jeden Vorwurf gegen ihre Zuschreibungen einzeln und skrupulös zu prüfen. Selbst wenn sich die Kritiken der beiden ostmitteleuropäischen Historiker in Einzelfällen als zutreffend erweisen würden (wofür einiges spricht), wäre gegen die Gesamtkonzeption der Ausstellung noch nichts Entscheidendes vorgebracht. Diese Prüfung müsste allerdings den Fehler vermeiden, als Erstes zu fragen: „Wem nutzt die Kritik?“ Man muss den beiden Historikern zugestehen, dass es auch ihnen um Aufklärung durch die Verbreitung von Wahrheit geht.
Es ist indes kein Zufall, dass die beiden Wissenschaftler aus Ostmitteleuropa stammen. Die Quellen wie die Sekundärliteratur, auf die sie sich beziehen, waren im Prinzip auch deutschen Wissenschaftlern zugänglich. Hier wiederholte sich, was auch für die Holocaust-Forschung typisch ist: Veröffentlichungen ostmitteleuropäischer Historiker werden ignoriert, sei es wegen der Sprachbarriere, sei es aus einfachem Vorurteil. Hoffen wir, dass die jetzige Auseinandersetzung auch hier auf deutscher Seite einen Lernprozess einleitet. Christian Semler
Bericht und Interview Seite 2
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