piwik no script img

Vom Stammbaum allein wird niemand satt   

■ n Hedwig von Möckernberg* ist not amused: Bälle haben ihren Glanz verloren. Statt im eigenen Palais muss man im schnöden Interconti feiern. Nur in verfallenen Gutshöfen in Brandenburg riecht es noch nach Heimat

Früher war alles im Ebenmaß. Jeder wusste, wo er stand. Seit dem Mauerfall leben wir in einem Umbruch. Jetzt geht doch alles ein bisschen rund. Ich bewundere die Adligen, die sich wieder in Brandenburg ansiedeln. Einen von ihnen habe ich gefragt: Warum machen Sie das? Das ist doch furchtbar, dieser ganze Verfall! Da hat er gesagt: Es riecht wie zu Hause, die Geräusche sind wie zu Hause. Das Heimatgefühl und die Familientradition sind für diese Leute ungeheuer wichtig. Das ist rührend.

Mit unseren Berliner Maßstäben können Sie das gar nicht messen. Hier ist das adlige Leben nicht so spektakulär. Man trifft sich eben. Wir machen Museumsbesuche, Vorträge, Pferderennen oder eine Hengstparade. Durch unsere Insellage haben wir jahrelang im eigenen Saft geschmort. Im Januar gibt es immer den „Kurmärker-Ball“. Früher kamen die Adligen aus Schlesien oder Pommern zur Grünen Woche nach Berlin. Sie packten den Frack in den Koffer, und dann traf man sich. Diese Tradition führen wir fort. Jahrzehntelang fand der Ball im heutigen Schlosshotel Vier Jahreszeiten statt. Als Karl Lagerfeld das Hotel übernahm, wurde es für uns unbezahlbar. Dann waren wir im Schweizerhof und im Adlon. Jetzt sind wir im Interconti gelandet.

Wie viele Adlige es in Berlin gibt, lässt sich nicht sagen. Es sind viel mehr, als man denkt. In Potsdam sitzen auch wieder ein paar. Es kommen jetzt Diplomaten, auch ausgediente Offiziere. Was die Berufe betrifft, ist es insgesamt ein bürgerlicher Querschnitt. Viele sind Ärzte oder Juristen. Wenn der Adel nicht mehr landsässig ist, dann reiht er sich in die Reihe der Bürgerlichen ein. Vom Stammbaum wird niemand satt.

Die Besonderheit des Adels liegt nur noch in seiner Tradition, in den Stammbäumen, die teilweise ins 12. Jahrhundert reichen. Manche zehren heute noch davon, dass ihre Familien früher eine besondere Stellung hatten.

Auch bei den Umgangsformen gibt es Unterschiede. Angehende Führungskräfte müssen sich heutzutage beibringen lassen, wie man sich in „gehobenen Kreisen“ bewegt. Das ist doch selbstverständlich. Ich staune, wie wenig Ahnung manche jungen Leute haben. Es gibt Spielregeln, die man von zu Hause mitbekommen sollte.

Wie viel verarmten Adel es gibt, weiß ich nicht. Wirklich arm sind nur die Adligen, die nach dem Krieg alles verloren haben. Früher arbeiteten die Frauen nicht, die Männer führten den Betrieb. An die Rentenversicherung dachte niemand. Männer, die nach dem Krieg jung genug waren, konnten noch studieren. Ältere leben oft von einer Minimalrente.

Es ist schade, dass alte Strukturen zerschlagen wurden. Wer ein Gut hatte, der hatte Angestellte. Die gehörten zur Familie. Auch die alten Leute blieben in der Familie. Sie bekamen Verpflegung und wurden betreut.

Für uns ist es noch selbstverständlich, dass man sich auch beim Personal bedankt. Das hat mit einer gewissen Erziehung und Tradition zu tun. Das ist es vielleicht, was uns auch ausmacht.

Aufgezeichnet von Ralph Bollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen